Angelo Poliziano – Dichter und Gelehrter, hg. v. Thomas Baier, Tobias Dänzer und Ferdinand Stürner. Tübingen: Francke Attempto, 2015 (Reihe: NeoLatina 24)
ISBN 978-3-8233-6977-6, 278 S., Euro 98,00

· Rolf Lohse ·


PID: http://hdl.handle.net/21.11108/0000-0007-C2D9-9

Dieser Sammelband enthält sechzehn Beiträge, die auf einer Tagung zu Poliziano in Würzburg vom 3.–5. Juli 2014 vorgetragen worden sind. Anlaß und Bestimmung des Bandes formuliert das Vorwort (ix–x): Er ist Eckart Lefèbvre gewidmet, der die Reihe «NeoLatina» mitbegründete, und wurde ihm als Ausdruck des Dankes zum 80. Ge­burts­tag überreicht. Die Aufsätze betreffen unterschiedliche Facetten des Werkes Polizianos und zeugen in ihrer großen Bandbreite an Themen und Herangehensweisen von der Lebendigkeit der Diskussion über diesen Autor, die diesen Band zu einer an­regenden Lektüre nicht nur für die Kenner des Werkes macht. Die Aufsätze, die zahlrei­che weiterführende bibliographische Angaben enthalten, sind durchweg von dem Anliegen getragen, bisherige Forschungspositionen durch die Hinzuziehung weiterer Quellen zu überprüfen und zu nuancieren. Die unterschiedlichen Sprachen, in denen die Beiträge verfaßt sind – sechs Aufsätze auf Italienisch, fünf auf Französisch und fünf auf Deutsch – unterstreichen, daß die Forschung zu neulateinischen Fragen und insbesondere zu Poliziano ein internationales Anliegen ist, das europaweit verfolgt wird: «Der internationale Auftritt des Buches ist ein Zeichen für die Vielfalt wissen­schaftlicher Zugänge und die Einheit des gemeinsamen europäischen Erbes.» (ix)

Der Band ist gegliedert in die Kapitel Poetik (7), Philologie (4), Rezeption (3) sowie Übersetzung (2). Diese Einteilung dient jedoch eher der groben Orientierung, da die Argumentation der meisten Aufsätze über ihre jeweilige Rubrik hinausführt. Der Schwerpunkt des Bandes liegt auf Fragen, die Poliziano als Philologen und Dichter betreffen. Die poetische Formung wird von den Herausgebern als einigendes Band des vielfältigen Werkes dieses Humanisten herausgestellt. Sie formulieren die Einladung, «die Leser [mögen] sich vom Charme Polizianos berühren lassen!» (x)

Ganz im Sinne dieser Einladung werden den lateinischen und griechischen Original­zitaten in vielen Fällen Übersetzungen ins Italienische, Französische und Deutsche beigefügt, die auch einem in den alten Sprachen weniger Bewanderten das Verständnis dieser Texte und der vorgebrachten Argumentation erleichtern. Dafür ist jedoch in Kauf zu nehmen, daß der Umfang der Fußnoten stark zunimmt und manchmal etwas überhandnimmt, wie im Falle des Beitrags von Laura Refe. Auf eine biographische Skizze zu Poliziano verzichten die Herausgeber, dies ist wohl der Tatsache geschuldet, daß sowohl die Beiträger als auch das Zielpublikum als informiert gelten. Aus zahl­reichen eingestreuten Hinweisen in den einzelnen Artikeln läßt sich jedoch so etwas wie eine Skizze des Lebens rekonstruieren. Insbesondere Thomas Baier verknüpft auf elegante Weise Aussagen über den Lebensweg des Autors Poliziano mit seiner Dis­kussion von dessen Übersetzungen.

Die Rubrik «Poetik» eröffnet Rita Degl’Innocenti Pierini mit ihrem Beitrag «L’epi­cedio di Angelo Poliziano per Albiera degli Albizi: tradizione classica e contaminazione di generi» (1–27). Sie kommentiert den Trostbrief, den Poliziano anläßlich des frühen Todes der Albiera degli Albizi verfaßt hat, und stellt die Rezeption dieser «Lettera con­solatoria» dar, die in einen Codice di dedica aufgenommen wird und mit der sich Poliziano einen ansehnlichen Platz unter den Gelehrten des Mediceerhofes erwirbt (4). Degl’Innocenti Pierini vermerkt, daß dieser Text recht bald von Gelehrten zur Kennt­nis genommen und diskutiert wird. Scaliger etwa stellt heraus, daß der Text auf Quellen wie «Ad Livia» und auf andere kleinere Texte verweise (5). Dieser Spur folgt Degl’Inno­centi Pierini, die sich den jüngeren exegetischen Ansätzen Perosas, Martellis und Bausis anschließt (6–7). Formale und inhaltliche Übereinstimmungen indizieren Bezug­nahmen auf antike Texte, die weit über die Gattung des Beileidsschreiben hinaus­rei­chen können. Degl’Innocenti Pierini kommt zu der These, dem Text gehe es nicht nur um die Variation antiker Gattungsmodelle, sondern um die Verknüpfung und Kreuzung solcher Modelle. Was dabei entstehe, sei weniger eine lineare Abfolge von Referenzen auf verschiedene Gattungen, sondern ein «mosaico di generi» (22). Hélène Casanova-Robin stellt in ihrem Beitrag «Invidia, ira, dolorque. La poétique des passions négatives chez Politien: jeu littéraire et construction ethique» (29–45) die schlechten Leidenschaften «passions négatives» des Neides, des Zorns und des Schmerzes und damit verknüpfte ethische Fragen ins Zentrum ihrer Studie und verfolgt diese drei Leidenschaften anhand der mythologischen Figuren Rhamnusia, Hekate und Orpheus. Diese Figuren finden sich in Polizianos Werk in ein reiches Netz inter­textueller Bezüge eingebettet (35), wo sie als hermeneutische Instrumente genutzt werden, die die Bearbeitung von komplexen ethischen Fragestellungen erlauben (44) sowie zur poetischen Verarbeitung reizen. Virginie Leroux liest Poliziano in ihrem Aufsatz «Politien et les songes: desir, imago mortis et vacance de l’âme» (47–62) als einen exemplarischen Renaissance-Autor, der zum Motiv des Traumes arbeitet. Die Fruchtbarkeit, aber auch die Ambivalenz dieses Motivs legt Leroux an der Verarbeitung verschiedener mythologischer Figuren, u. a. Endymion, auf. Leroux macht Bezüge zwischen der humanistischen Aufarbeitung des Motivs in seinen verschiedenen Kon­texten und zeitgenössischen Bearbeitungen durch die Malerei namhaft und erkennt in Poliziano einen Bezugsautor für eine «iconographie du sommeil», eine dem Schlaf­motiv gewidmeten Bildtradition. In ihrem Beitrag «La dérision du corps dans la poésie latine d’Ange Politien» (63–82) sieht Émilie Séris in Poliziano einen für die Lach­theorie relevanten Autor. Séris erkennt im Werk Polizianos auslösende Momente für unterschiedliche Arten des Lachens, u. a. gibt Poliziano die stilistischen Fehlleistungen seines Gegners Mabilius dem Verlachen preis, nutzt die tradierte Figur der sexuell unbefriedigten alten Frau als Lachgegenstand und lädt die Leser seiner «Sylva in sca­biem» ein, mit dem erzählenden Ich über den Zerfall des eigenen Körpers zu lachen und mit ihm einen «risus sardonicus» (74) anzustimmen. Unter Bezugnahme auf wei­tere antike und zeitgenössische Aussagen zum Lachen versucht sich Séris an einer Neuinterpretation der genannten Sylva, die sie als grundlegenden Text für eine Theorie des körperlichen und sardonischen Lachens liest. Diesem innovativen Interpretations­versuch stellt Claudia Wiener in ihrem Beitrag «Alle Leiden dieser Welt. Probleme der Allegorese-Methoden für die Interpretation» (83–98) die bislang relevanten Inter­pretationstraditionen zu Polizianos «Sylva in scabiem» zur Seite und relativiert damit Séris’ Deutung des Textes als Darstellung des sardonischen Lachens. Unter den drei etablierten Deutungen – die Del Guerras, der hinter der explizit benannten Krätze das Leiden an der Syphillis vermutet, derjenigen Perosas, (84) der die Kritik des Autors an seiner sozialen Lage in den Mittelpunkt stellt und die enkomiastischen Passagen dieses Textes als Bitte an den Medicifürsten deutet, auf die materielle Situation des Au­tors heilend einzuwirken, sowie Orvietos symbolischer Deutung – schließt sich Wiener Perosas Deutung an, der die Enkomiastik sowie die markante Darstellung einer Krankheit nutzt, um durch das Lob den Fürsten dazu zu bewegen, ihn mit einer Wohl­tat zu erfreuen (89). Diese Deutung erfüllt weitestgehend Wieners Forderung, daß eine Allegorese möglichst alle Elemente des Gedichts einbeziehen sollte. Das Ziel der Betrachtungen in M. Elisabeth Schwabs Beitrag «Angelo Polizianos Wortmalereien» (99–118) liegt darin, an Polizianos literarischen Bildbetrachtungen darzustellen, in wel­chem Maße er mit dem Ekphrasisdiskurs der Zeit vertraut ist und kreativ mit diesem Diskurs umgeht. An vier Beispielen aus dem Werk Polizianos, die den Autor in Theorie und Praxis als Kenner dieser Stilform ausweisen, erläutert Schwab die Kunst der Ekphrasis als Teil des Kunstdenkens der Renaissance. Schwab interpretiert Polizianos ekphrastische Kunst als eine dichterische «Überhöhung von Meisterwerken», die allein durch Wortkunst erschaffen worden sind und außerhalb der dichterischen Evo­ka­tion keine Existenz haben. (113) Thomas Gärtner analysiert in seinem Beitrag «Lateinische und griechische Epigramme bei Polizian [sic]» (119–130) die lateinischen und griechischen Epigramme hinsichtlich der innovativen Einbeziehung anderer Dichtungsgattungen (insbesondere im lateinischen Corpus), präpariert sodann größere Zyklen in dem jeweiligen Corpus heraus und will schließlich aufzeigen, wie anhand der innovativen Verwendung etablierter Motive «Neues» (119) entsteht. Im ersten Teil des Beitrags arbeitet Gärtner an einem autoreferenziellen Gedichtanfang sowie an dem Motiv der schattenspendenden Steineiche heraus, daß die Epigramme Polizianos hinsichtlich ihrer formalen Mittel und dargestellten Inhalte sich auch auf andere literarische Gattungen beziehen lassen. Im zweiten Teil insistiert Gärtner darauf, bei der Interpretation der Epigramme die in der Editio princeps gegebene Reihenfolge der Einzeltexte zu beachten, weil sich nur dadurch zyklische Strukturierungen erken­nen lassen. Dies demonstriert Gärtner anhand der Reihung enkomiastischer Epi­gramme an die Adresse Lorenzos und an den Kardinal di San Sisto (123) sowie der polemischen Epigramme an die Adresse seines Lieblingsfeindes Marullus. Der dritte Teil dieses Beitrags knüpft an die Beobachtungen des ersten an und stellt anhand der Wahl und spezifischen Verwendung bekannter Motive (bittere Frucht des Lorbeer, Liebe als Joch) heraus, wie es Poliziano – aber auch seinem treuen Konkurrenten Marullus – gelingt, dichterisch Bedeutungssteigerungen und Bedeutungsveränderun­gen zu realisieren.

Die Rubrik «Philologie» wird durch Gianna D’Alessios Beitrag «Nuove riflessioni sulle Silvae di Stazio in un capitolo della Miscellaneorum Centuria Secunda di Poli­zia­no (Misc. II, 49, Taras)» (131–141) eröffnet, in dem sich die Autorin auf eine philo­logische Spurensuche macht, um die «verisimili intenzioni», die wahrscheinlichen Ab­sichten Polizianos hinsichtlich einer Korrektur zu erfassen, die der Autor mit der Publikation der korrekten Lesart einer Stelle aus der ersten Silve des Statius verfolgt haben könnte. Es handelt sich um die Bezeichnung der Stadt Taranto, die in Statius’ Text als Taras erscheint, jedoch von Exegeten als «tonans» falsch gelesen wurde. Diese Korrektur, die Poliziano im Rahmen der Vorbereitung seiner Vorlesung zu Statius um 1475–1480 vorgenommen hat, publiziert er schließlich 1493/94 in Miscellaneorum Centuria Secunda. Unter Berücksichtigung weiterer Quellen aus der humanistischen Exegese der Texte des Statius stellt D’Alessio die These zur Diskussion, daß die Pu­blikation der Korrektur im wesentlichen dazu hat dienen können, Kritik an der Editio princeps von 1472 sowie an Domitio Calderinis kommentierter Ausgabe der Silven zu üben. D’Alessio folgend könnte Poliziano mit dieser Kritik das Ziel verfolgt haben, die exegetische Tradition zu diskreditieren, die sich in Rom entwickelt hat. Daniela Marrone zeigt in ihrem Beitrag «La poetica nel sistema pedagogico di Poliziano: ripen­samenti terminologici» (143–156), daß die philologische Aufarbeitung von Texten des Aristoteles, die Poliziano unternimmt, von dem Entwurf eines Lehrprogramms begleitet wird, in dem das Trivium um die Disziplinen Geschichte und Dichtungslehre bereichert wird. Vor diesem Hintergrund untersucht Marrone die Genese sowie die Weiterentwicklung der dichtungstheoretischen Positionen Polizianos. Sie kommt unter Berücksichtigung lexikalischer Neuerungen, die das Panepistemon prägen, zu dem Schluß, daß das erneute Durchdenken der dichtungstheoretischen Positionen – auch unter dem Eindruck der Poetik des Aristoteles – Poliziano zu einer Abänderung der ei­genen Positionen gebracht haben könnte. Francesco Caruso verfolgt in seinem Beitrag «Amicus Plato sed magis amica veritas: Poliziano e i confini della filosofia» (157–175) die These, daß die Philosophie als Methode der Wahrheitsfindung für Poliziano sich aufgrund der dem Menschen nur eingeschränkt möglichen Erkenntnis auf den Bereich der philologischen Praxis zu beschränken habe. Er weist eingangs auf die Vorarbeiten des als Spion der Stasi enttarnten Forschers Waschbüsch zu dem Verhältnis Polizianos zur Philosophie hin und hofft, diese Überlegungen durch «qualche tassello» zu erweitern. Um seine These zu stützen, daß für Poliziano die beste Philosophie in Philo­lo­gie bestanden habe (157, 173), stellt Caruso zunächst die Frage, was Poliziano unter Philosophie verstanden haben könnte und weist überzeugend darauf hin, daß bis in die 1480er-Jahre Polizianos Denken im Umfeld des Platonismus situiert werden kann (157). Dafür spricht die Datierung des Vorwort-Briefes des Encheiridions (158). Caruso diskutiert zwei Vorbehalte gegen die Annahme, Poliziano habe sich ganz dem Plato­nismus angeschlossen: Zum einen bestehe er auf dem Standpunkt, eine stoische Hin­nahme von Widrigkeiten sei gegen die Natur (161), zum anderen nehmen in den 1490er-Jahren Aussagen Polizianos zu, die die pythagoreische Denkschule lächerlich machen (163–165). Schließlich sieht Caruso in der Praxistauglichkeit von Philosophie und Philologie das entscheidende Kriterium, das Poliziano bewogen haben könnte, der Philologie den Vorzug zu geben und diese letztlich als die geeignetere Form von Phi­losophie anzusehen. Im Zentrum von Valerio Sanzottas Beitrag «Per Ficino e Poliziano: alcune riflessioni» (177–190) steht die bislang wenig erforschte Zusammenarbeit von Ficino und Poliziano. Textspuren in Manuskripten, die durch die Hände beider Huma­nisten gegangen sind, deuten laut Sanzotta darauf, daß die bisherige Auffassung, nach der das zunächst gute Verhältnis zwischen beiden sich nach und nach zu einem distan­zierten gewandelt habe, möglicherweise zu modifizieren ist. Sanzotta kommt zu dem Ergebnis, daß es eine «conversazione dotta» (184) zwischen Poliziano und Ficino gege­ben habe, in deren Verlauf sich Ficino auch zu philologischen Arbeiten hat motivieren lassen.

Die Rubrik «Rezeption» wird durch den Beitrag «Gilbert Ducher (c. 1490 – c. 1548) – émule de Politien?» (191–201) von Catherine Langlois-Pézeret eröffnet. Anhand gut ausgewählter Texte stellt Langlois-Pézeret in ihrem Aufsatz die Rezeption der Wer­ke Polizianos in dem dichterischen Werk des Lyoner Dichters Gilbert Ducher dar. Die Textpassagen lassen erkennen, daß Ducher in vielfacher Hinsicht inhaltliche Motive, Strukturmerkmale und Ideenkontexte aus Texten des italienischen Humanisten aufgreift und zu Materialien der eigenen dichterischen Produktion macht, in der er teils durchaus kritisch auf den Vorbildautor Poliziano antwortet. Sylvie Laigneau-Fontaine betrachtet in ihrem Beitrag «Nicolas Bourbon imitateur, pilleur ou contempteur de Politien?» (203–217) einen weiteren französischen Autor, der sich im 16. Jahrhundert mit dem Werk Polizianos produktiv auseinandersetzt. Bourbon verarbeitet nicht nur Anregungen aus Texten Polizianos, sondern rezipiert auch dessen Quellen und tritt damit gleichsam in intertextuelle Konkurrenz zu Poliziano. Laigneau-Fontaine stellt he­raus, daß einige Texte sogar erkennen lassen, daß sich Bourbon in wichtigen Details auf die maßgebliche Übersetzung der Epigramme des Poliziano bezieht, die Bourbons Lehrer Toussain (206) angefertigt hat und die seit 1519 in den französischen Ausga­ben der Epigramme mit abgedruckt wurden. Es kommt daher in Bourbons Werk zu stimulierenden Interferenzen zwischen den antiken Quellen, dem Werk Polizianos und Toussains Übersetzung, die auch distanzierende Positionen zu Poliziano zulassen. Laura Refe gibt in ihrem Beitrag «Poliziano e allievi allo Studio fiorentino: scambi di appunti e di libri tra amici accademici» (219–242) Einblicke in die von ihr unter­nommene großformatige Forschung über die Schüler Polizianos, insbesondere über den Austausch von Studienmaterialien zwischen den Schülern, aber auch zwischen ihnen und Poliziano. Refe macht das komplexe Beziehungsgeflecht erkennbar, das sich zwischen den Schülern Polizianos am Studio fiorentino entwickelt. Sie hat 50 Personen identifiziert, die man als Schüler Polizianos bezeichnen kann, und rekonstruiert nicht nur die Herkunft und weitere Karriere dieser Schüler, unter anderem an weiteren Universitäten sowie im diplomatischen Dienst, sondern auch das Beziehungsnetz, das sich an dem Austausch von Werken unter einigen dieser Personen nachvollziehen läßt (220). An diesem Austausch, bei dem es vor allem um universitäre Schriften sowie um Quellentexte geht (230), ist auch Poliziano selbst beteiligt. Er wird nicht nur um Texte gebeten, sondern läßt auch Texte durch seine Schüler beschaffen.

Die den Band abschließende Rubrik «Übersetzung» gibt interessante Einblicke in die konkrete Textarbeit Polizianos, die auch Rückschlüsse auf seine philologische Tätigkeit erlauben. Thomas Baier unterstreicht in seinem Beitrag «Poliziano als Über­setzer» (243–257) die Notwendigkeit, die für Poliziano bestand, griechische Texte ins Lateinische zu übersetzen, und weist auf die Breite des übersetzerischen Werks hin. Baier verknüpft auf überzeugende Weise Aussagen über den Lebensweg des Autors Po­liziano mit dessen Werk und liefert damit eine Reihe von Hinweisen, die der bio­graphischen Situierung dieses Autors dienen. Auf die Frage, warum Poliziano sich ans Übersetzen macht, gibt Baier die schlichte und wohl zutreffende Antwort, daß das Übersetzen von grundlegender Bedeutung für diesen Humanisten gewesen ist (245). Die Homerübersetzung gibt Poliziano die Gelegenheit, enzyklopädische Kenntnisse zu präsentieren, auf Platons Charmenides (248) könnte die Wahl gefallen sein, weil hier grundlegende ethische Begriffe diskutiert werden (251). Gleichzeitig kann er sein Stilideal der Schnelligkeit und Eleganz demonstrieren, das schon in der Statius-Vorlesung als zentrales Kennzeichen der Sylvae herausgestellt wurde. Die Arbeitsweise, zu der auch im abschließenden Beitrag von Dänzer noch einiges gesagt wird, besteht im Zusammenklauben von geeigneten Versatzstücken aus anderen antiken literari­schen Texten (253). Seine von falscher Scham freie Übersetzung auch anzüglicher Passagen weist Poliziano als einen eher modernen Übersetzer aus. Tobias Dänzer widmet sich in dem Beitrag «Mechanik und Enzyklopädie in Polizianos Ilias-Übersetzung» (259–273) der detaillierten Untersuchung der Homer Übersetzung. Dänzer betont wie Baier die Versatzstück-Technik, die es Poliziano erlaubt, schnell und viel zu übersetzen (259). Der Dichter rechtfertigt sich, indem er darauf verweist, daß es ihm um die Suche nach dem genauesten Ausdruck gehe, den er dank seiner Belesenheit auch findet. Dänzer vermerkt die zeitgenössische Kritik an diesem Stil: insbesondere an der Verwendung ungebräuchlicher Wörter und an dem Zusammenschweißen von existierenden Versatz­stücken. Um genauer der Frage nach der Herkunft der philologischen Stilistik sowie ihrer Manifestation im Werk Polizianos nachzugehen, wählt Dänzer als Demonstra­tions­objekt die Ilias-Übersetzung Polizianos. In dieser Übersetzung werden verschiede­ne antike und spätantike Kommentare berücksichtigt, vor allem zeigt sich bis in die Details, daß Poliziano Kenntnisse nutzt, die er aus einer Vorlesung von Callistos (265) bezieht. Im übrigen qualifiziert Dänzer die Übersetzungpraxis des Poliziano als me­chanistisch (268): Poliziano sucht auf der Basis von übersetzten Zentralwörtern ähnliche Textstellen und übernimmt sie in Wortwahl und Struktur (269). Diese Heran­gehensweise zeigt sich auch an der eigenständigen Dichtung Polizianos – etwa an der Wiederverwertung gebräuchlicher hexametrischer Formeln aus verschiedenen antiken literarischen Texten (291). Ein Stellenregister zu den Werken Polizianos (275) und ein Namensregister (276) beschließen diesen Band, der mit sechzehn dichten und gut recherchierten Beiträgen eine Reihe von Diskussionen um das Werk Polizianos an­regend weiterführt.