Die Sammlung Ulrich Wilke

· Jürgen Weichardt ·


PID: http://hdl.handle.net/21.11108/0000-0007-CA92-0

Vorwort

Sammeln ist wie das Eintreten in eine fremde Welt, von der einige Strukturen vielleicht bekannt sind, aber wesentliche Inhalte erst entdeckt werden müssen. Andere Men­schen daran teilhaben zu lassen, ist eine über das Wahrnehmen und Entdecken hinaus­gehende ehrenwerte, aber durchaus seltene Geste.

 

Abb. 1: Illustration von Ch. N. Cochin (Zeichner) und J. N. Ponce (Kupferstecher). Aus: Ludovico Ariosto, Orlando furioso / Rasender Roland. 92 Kupferstiche des Rokoko, hrsg. u. erläutert von Ulrich Wilke, 2013.

 

 

1930 geboren, wuchs Ulrich Wilke als Sohn eines Arztes in Perleberg/Brandenburg auf, bis die Familie in den letzten Kriegstagen im Mai 1945 in den Westen flüchtete, wo sie sich in Hude niederließ. Der Vater eröffnete eine neue Praxis; der Sohn machte in Delmenhorst das Abitur und studierte Medizin in Frankfurt/Main und Marburg. Nach dem Staatsexamen setzte er die medizinisch-klinische Ausbildung in Güstrow, Brake und Oldenburg fort und promovierte in Rostock. 1958 übernahm Ulrich Wilke die väter­liche Praxis, die er im Laufe der Jahre ausbaute. Er vermählte sich mit Gunda Pa­pe. 1998 übernahmen Schwiegersohn und Tochter die Praxis.

Das im Laufe der Zeit um viele Wände erweiterte Haus in Hude verlangte nach Kunst. Der Vater hatte schon Kontakt zu einem Maler in Hude geknüpft, der um 1900 den Umbruch der Kunst in Paris miterlebt hatte, Heinz Witte-Lenoir (1880–1962). Ihm widmete Ulrich Wilke zunächst viel Aufmerksamkeit, sammelte Bilder und Materi­al für ein Werkverzeichnis und entdeckte die freundschaftlichen Beziehungen Witte-Lenoirs zu Amedeo Modigliani, der gelegentlich in Paris bei ihm übernachtet und ihn auch gemalt hatte. Ein anderer Künstler, der besonders von Gunda Wilke geschätzt wurde, war Esteban Fekete, von dem gleichfalls etliche Bilder erworben wurden.

Aber auch Geschichte wurde zu einem Forschungsgebiet. Ulrich Wilke hatte beo­bachtet, dass die oldenburgische Öffentlichkeit einer profilierten historischen Persön­lichkeit ihres Landes wenig Aufmerksamkeit schenkte: Burchard Christoph von Münnich (1683–1767), Sohn eines Deichgrafen aus Neuenhuntorf, der es bis zum Ober­befehlshaber der Russischen Armee, zum Todeskandidaten der Zarin Elisabeth und zum Verbannten in Sibirien gebracht hatte. Ulrich Wilke sorgte dafür, dass diesem Ol­denburger sowohl in St. Petersburg wie in Neuenhuntorf gedacht werden konnte, indem er Erinnerungsreliefs an entsprechenden Orten anbringen ließ.

Nach Aufgabe seiner Praxis entdeckte er das Sammelgebiet der Illustrationen zu Werken der Weltliteratur. Dabei konzentrierte sich der Sammler zunächst auf zwei Schwerpunkte, Vergils Aeneis und Ariosts Orlando furioso. So populär die beiden Epen seit der Renaissance gewesen sein mochten, ihre frühen Illustrationen blieben zu einem großen Teil unbekannt, weil die spärlichen Auflagen schnell in fürstlichen oder privaten Bibliotheken verschwunden waren. Nur gelegentlich tauchten gebundene Aus­gaben oder einzelne Blätter im Handel auf, aus dessen Angebot sich Ulrich Wilke in­zwischen eine Sammlung an Illustrationen aufgebaut hat, die unvergleichlich ist. Dass er durch die Veröffentlichung seiner Kollektionen Publikum und Wissenschaft an ih­nen teilhaben lässt, ist beachtenswert.

Ariost: Orlando furioso

Ulrich Wilkes aus vier Bänden bestehende Edition mit Illustrationen zu Ariosts Orlan­do Furioso ist ein Beispiel dieser Erfolgsgeschichte. In knapp drei Jahren hat der Samm­ler durch beharrliches Studium antiquarischer Angebote zahlreiche Editionen des Epos aufgespürt und erworben. Dass Sammeln Freude machen kann, war ge­wiss kein Nachteil, insbesondere weil sich dabei auch die Kenntnisse eines populären, im Detail aber weniger bekannten Stoffes und seiner künstlerischen Reflexion bestän­dig erweiterten. Den Titel Orlando Furioso kennen viele Menschen, den Inhalt des Epos weniger, obwohl dieser wegen der Konfrontation zwischen Sarazenen und Chris­ten auf Schauplätzen in Europa, Nordafrika und sogar China überraschende Aktualität hat.

Die fränkische Roland-Sage ist die wichtigste Quelle der Geschichte um Orlando, Heerführer Karls des Großen im Kampf gegen die Araber. Er führte die Nachhut des kaiserlichen Heeres. Der Kampf tobte zunächst in Spanien, dann im Frankenreich bis vor Paris und wechselte später hinüber nach Nordafrika. Ariost löst das Geflecht der Handlungen in zwei Liebesgeschichten und zahllose Abenteuer und Streitigkeiten vieler Ritter, Mönche, Zauberer, edler Damen, Zofen und Hexen auf und versieht das Geschehen mit märchenhaften Zügen wie einer Mondfahrt, der schnellen Überwindung von Distanzen, Grenzenlosigkeit und scheinbarem Trotzen der Naturgewalten. Die Geschichten um die unerfüllte Liebe Orlandos zu der von vielen begehrten chinesischen Prinzessin Angelika, die in Europa einen Mann und zugleich einen Nachfolger ihres kaiserlichen Vaters suchen sollte, und im Gegensatz dazu die am Ende des Epos erfüllte Liebe zwischen Bradamante und Rüdiger bilden die wesentlichen Handlungsstränge. Diese führen die zahlreichen Helden von Spanien über Paris nach Friesland, Britanni­en, Island und Nordafrika. In den fünf Nachgesängen wird die – nicht historische – Geschichte Karls des Großen zu Ende erzählt, der in der Donau zwischen Wien und Bu­dapest ertrunken sein soll.

Aber das Erinnern an die abenteuerlichen Inhalte des Epos von Ariost ist nur ein Nebenergebnis der Sammlung von Ulrich Wilke, sein Hauptaugenmerk liegt auf den Il­lustrationen der Orlando-Ausgaben vom 16. bis zum 21. Jahrhundert. Sie wurden 2015 in vier Bänden erstmals im Zusammenhang veröffentlicht1 und in ihrer Verschie­denartigkeit dokumentiert. Im ersten Band dieser Publikation werden beispielsweise Holzschnitte der Editionen der Verlage Ferrari, Guerra, Farri, Polo, Misserino und Pra­ti einander gegenübergestellt. Das ermöglicht Vergleiche, etwa wenn die Bilder die­selbe Szene eines Canto zeigen. Das ist schon beim Canto 1 der Fall: Nur Farri zeigt das Verlagstitelbild, die anderen fünf den Kampf zwischen Rinaldo und Ferragu. Die auf einem Pferd fliehende Angelika ist im Hintergrund jeder Version erkennbar.

Dieses, hier nur angedeutete, vergleichende Beispiel zeigt, dass die Grafiker sich an dasselbe Motiv halten, sogar die Komposition von Ferrari, der frühesten Ausgabe, über­nehmen, aber Figuren wie Landschaften meist unterschiedlich gestalten.

Wilkes Edition schafft Voraussetzungen für eine kunsthistorische Reise durch diver­se Auffassungen von Illustration: Sie hatte zunächst auf engstem Raum in einem kartografischen Aufriss mehrere Handlungen zusammengezogen, um dann im Laufe der Zeit mit immer größerer Lust die menschliche Gestalt, aber auch Landschaft und Architektur detailliert zu schildern. Zeigten sich im Barock, Rokoko und im Realismus des 19. Jahrhunderts Eigenheiten der Stilepochen auch in kleinen Illustrationen, so wächst demgegenüber im 20. Jahrhundert die Distanz zwischen aktuellen Stilströmun­gen und Orlando-Illustrationen, denn diese bleiben häufig dabei, aus älteren Dar­stellungsweisen zu schöpfen, ohne Expressionismus, Kubismus oder Abstraktion zu be­achten. Lediglich der auf stille architektonische Räume fußende Surrealismus der pittura metafisica kommt zur Geltung.

Ausgangspunkte der Sammlung: Editionslage und frühe Erwerbungen

Ulrich Wilkes Beschäftigung mit dem Orlando-Epos von Ariost begann zufällig mit dem Erwerb eines Konvoluts von 91 Kupferstichen aus dem 18. Jahrhundert, die die vom Verlag Brunet, Paris 1775, publizierte Edition des Orlando furioso vollständig abgedeckt hatten und ebenso als Teile der Baskerville-Ausgabe von 1773 identifiziert werden konnten. Es lag nahe, nach früheren Editionen zu suchen.

Allerdings war dem Erwerb dieses Konvoluts schon eine andere Entdeckung voraus­gegangen. Jahre zuvor hatte Wilke einen Band mit Illustrationen des 17. Jahrhunderts gekauft, ohne zunächst herausfinden zu können, welchem Epos diese Drucke zuzuord­nen waren. Erst nach Befragen von Prof. Werner Suerbaum, München, wurde offenbar, dass es sich um ein Werk zur Aeneis von Vergil handelte, das dann für gewisse Zeit Priorität in der Beschäftigung mit klassischen Epen gewann.

Dennoch hat Wilke die Illustrationen zum Orlando furioso nicht aus den Augen verloren und sich weiterhin mit der Editionsgeschichte dieses Werkes im 16. Jahrhun­dert beschäftigt. So erfasste er insgesamt 75 Ausgaben zwischen 1516 und 1596, davon waren 23 mit Illustrationen versehen, von denen er wiederum zehn erwerben konnte, sechs davon in erster Auflage. Sie alle verdienen eine genauere Betrachtung.

Die arbeitsteilige Produktion der frühen mit Illustrationen versehenen Bücher haben Werner Suerbaum und Ulrich Wilke in Beiträgen zur Aeneis beschrieben.2 Sie unter­scheiden zwischen «Bilderfinder» oder Zeichner, Grafiker (Holzschneider, Kupferste­cher), Drucker, Herausgeber und Verleger. Nach letzteren werden im Allgemeinen die Editionen benannt. Es liegt nahe, dass das kreative Potential beim «Bilderfinder», also beim Zeichner zu finden ist, während die Grafiker und Drucker Handwerker wa­ren, die das Vorgegebene ausführten. Wahrscheinlich war bei Illustrationen eine solche Arbeitsteilung aus Zeitgründen notwendig. Doch zur gleichen Zeit haben Künstler, Maler und Graphiker, auch ‹freie› Graphiken geschaffen, teils nach Bildvorlagen von Tizian oder Michelangelo, teils nach eigenen Entwürfen. Diese waren inhaltlich nicht ungebunden, sie hielten sich an den Kanon der bereits entwickelten Motivik der mythischen, historischen oder christlichen Bildüberlieferung. Das rückt die Graphiken zwar in die Nähe der Illustrationen; doch waren sie unabhängig von Produktionszeit, vom Format des Buches und frei von den Eingriffen anderer Mitarbeiter in den Werk­stätten. Sie waren, was wir heute als selbstverständlich ansehen, autonome Kunst­werke. Diese Graphiken wurden geschätzt und von der Nachwelt gesammelt, viele sind heute in Museen und Bibliotheken zu finden.

Für die ersten Ariost-Ausgaben freilich gilt, dass der Zeichner wohl nicht zugleich auch Holzschneider oder Kupferstecher war. Das hätte nicht der gesellschaftlichen Gliederung eines Handwerker- und Verlagsbetriebes jener Epoche entsprochen. Da je­weils nur die gedruckte Edition und selten Zeichnungen überliefert sind, ist wenig über den Arbeitsprozess bekannt. Zeichner und Drucker hatten zudem ihre Arbeiten meist noch nicht signiert, sodass die Zuschreibungen diskussionswürdig und selten sicher sind. Hinweise geben andere Quellen wie Biografien, sowie Darstellungen und Urteile zeitgenössischer Autoren. Im 17. Jahrhundert sieht die Quellenlage schon erheblich besser aus; die Zuschreibung etwa der verschiedenen Aeneis-Illustrationen bereitet keine Probleme mehr.

Von den frühen Bilderfindern zum Ariost steht Dosso Dossi, der seit der New Yorker Retrospektive 1998 wieder verstärkt ins Bewusstsein gerückte Maler aus Ferrara (ca. 1480–1542), im Mittelpunkt einer Diskussion. Über ihn hat Ulrich Wilke ausführliche Daten publiziert mit dem Hinweis, dass umstritten ist, ob Dosso Dossi der Autor der Zeichnungen für die Orlando-Illustrationen der Valgrisi-Edition von 1556 gewesen ist. Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts waren sich die Kunsthistoriker sicher, dass Dosso Dossi die Zeichnungen geschaffen hat. Doch um 1920 kamen dem Kenner der lom­bardisch-italienischen Graphik im 16. Jahrhundert Paul Kristeller (1863–1931) Zweifel. Er zog als Zeichner auch Dossos Bruder Battista in Betracht. Das Charakteristische dieser Grafiken von 1556 sei der ausgeformte, fast kartografische Tiefenraum, der oft mit strenger Perspektive geöffnet werde und die Darstellung mehrerer Episoden von wenigen Zentimetern Größe auf einem Blatt erlaube.3 In der Malerei der beiden Dossi finden sich solche Räume, aber auch in Bildern und Grafiken ihrer Zeitgenossen. Ein sicheres Argument für eine Zuschreibung der Drucke ist damit wohl nicht gegeben.

Bekanntlich hat Dosso Dossi mit mehreren Assistenten gearbeitet, sein Bruder Batti­sta (ca. 1490–1548) gehörte dazu. Es ist denkbar, dass der viel beschäftigte Dosso und sein Bruder Battista Zeichnungen zum Orlando furioso an Mitarbeiter in der Werkstatt delegiert hatten, deren Ergebnisse sie dann kontrolliert haben. Zwischen den Todes­jahren Dossos 1542 und Battistas 1548 und der Veröffentlichung der ihnen zugeschrie­be­nen Zeichnungen 1556 lagen 14 bzw. 8 Jahre, was vermuten lässt, dass die Zeich­nungen und ihre graphische Umsetzung zeitlich deutlich getrennt waren. Es ist denk­bar, dass die Zeichnungen vom Herausgeber Girolamo Ruscelli ‹entdeckt› wurden und dieser sich für ihre Publikation einsetzte. Eine Edition mit Illustrationen hatte zu­vor nur Ferrari gewagt, Ruscelli und Valgrisi konnten mit neuen Bildern aufwarten.

Girolamo Ruscelli (1504–1566) war eine interessante Persönlichkeit des 16. Jahr­hunderts: Als Naturforscher und Kartograf gründete er 1540 eine Akademie in Neapel. Fast zwangsläufig geriet er in Konflikt mit der Inquisition, der er entkommen konnte, seine Akademie aber musste er aufgeben. 1554 kam er nach Venedig, 1555 erschien das Buch De’ secreti del reuerendo donno Alessio Piemontese, bei Sigismondo Bordogna, vermutlich ein Pseudonym für Ruscelli. Ein Jahr später gab er im Verlag Vincenzo Val­grisi Ariosts Orlando furioso heraus, ein anderes fantastisches Werk jener Zeit.

Ungeklärt bleibt dennoch, ob die Zeichnungen für die Illustrationen der Valgrisi-Ausgabe von 1556 tatsächlich von Dosso Dossi stammen, wie es heute noch Buchhänd­ler aber auch die Kunsthistorikerin Paola Coccia, von der Ausgabe behaupten.

Die Sammlung in chronologischer Ordnung

Im Folgenden sollen die Ausgaben nun, nach ihrer Entstehungszeit geordnet, vorge­stellt werden; am Ende des jeweiligen Kapitels folgt ein zusammenfassender Überblick des Sammlungsbestandes aus dem jeweiligen Zeitraum.

Die frühesten Editionen

Zu diesen, nach ihren Verlegern oder Herausgebern benannten Ausgaben sind die Zeichner oder «Bilderfinder» nur in Ausnahmefällen bekannt. Ulrich Wilke hat ihnen Bezeichnungen gegeben, damit sie unterscheidbar werden.4 Der erste Zeichner, na­mentlich nicht bekannt, daher als «AOM 1» bezeichnet, zählt zu den erfolgreichsten, da er nicht nur die erste Edition von Gabriel Giolito de’ Ferrari, Venedig 1546 (1. Auflage 1542), illustriert hat, sondern seine Bilder später von anderen Verlagen übernommen oder bearbeitet wurden.

Der erste namentlich bekannte Zeichner war Pierre Eskrich (1530–1590), dessen Illustrationen die Editionen Guglielmo Rouillio von 1556 und 1570 begleiten. Allerdings beschränkte sich auch Eskrich auf die Wiedergabe von Bildern der Ferrari-Ausgabe von 1542, die der Verleger Rouillio wahrscheinlich aus Venedig mit nach Lyon gebracht – er hatte bei Ferrari gelernt – und für seine Editionen von 1556 und 1570 genutzt hat.5 Wilke notiert zu Eskrich: «Nachstiche nach AOM1 Ferrari». Der unbekannte Illus­trator galt als Vorbild, es dem Meister gleich zu tun, war ein ehrgeiziges Ziel. Auch der Leser sollte und musste sich erinnern und das Geschehen im Bild wiedererkennen kön­nen, insbesondere dann, wenn die Graphik bei Menschen, die den Text nicht lesen konnten, auch ihre Wirkung entfalten sollte. Auch in späteren Orlando-Ausgaben des Valgrisi-Verlags fehlen Hinweise auf Illustratoren, ebenso wie bei Guerra, Farri und Polo.

Zugleich enthält die Rouillio-Ausgabe Korrekturen von Ruscelli, wie der Heraus­geber in der Bibliographie anmerkt. Diese Korrekturen beziehen sich auf Anmerkungen von Lodovico Dolce, die von den Herausgebern und Verlegern wiederholt zur Erläu­terung der Handlungen herangezogen wurden. Hiergegen wandte sich Ruscelli, der vor allem in der italienischen Sprache Dolces Mängel sah. Die Volkssprache Italienisch hatte noch keine verbindliche Grammatik und Orthografie. Der Streit zwischen Dolce und Ruscelli bezog sich nicht nur auf den Orlando-Text, sondern auch auf die ersten italienischen Veröffentlichungen des Decamerone und anderer Klassiker.6

Da sich die Sammlung Wilke aber auf die enorme Zahl der Abbildungen und weniger auf die Texte konzentriert, bleibt der Streit zwischen Ruscelli und Dolce hier eine Randerscheinung. Immerhin enthält die Sammlung mit den Editionen von Valgrisi und Rouillio Beispiele für Ruscellis Textfassung und mit Editionen von Guerra und Polo Texte von Lodovico Dolce.

Nur die Edition von Francesco Franceschi 1584, ebenfalls in Venedig erschienen, hat noch einen Künstler als Autor der Abbildungen genannt – Girolamo Porro, der erst­mals mit Kupferstichen arbeitete. Er löste sich aber nicht von der Ikonographie der bis­herigen Illustrationen. Ilaria Andreoli hat dieser Franceschi-Ausgabe ein Buch gewid­met7 und die technische Neuerung des Kupferstichs durch Porro besonders betont. Er läutete damit den Wechsel vom Holzschnitt zum Kupferstich als Publikationsform von Illustrationen ein. Zweifellos war der Kupferstich für größere Auflagen und mehre­re Editionen besser geeignet. Es war wiederum Paul Kristeller, der darauf hinwies, dass sich der frühe Kupferstich jedoch eng an den vorausgegangenen Holzschnitt an­lehnte. In Andreolis Herausgeberband hat Monica Preti mehrere Holzschnitte der Valgrisi-Edition von 1556 den Kupferstichen von Porro von 1584 gegenübergestellt. Auch sie nennt die Autoren der Zeichnungen und der Holzschnitte von 1556 nicht.8 Dieser kurze Abriss deutet an, welch vielseitige Gebiete Ulrich Wilke mit seiner Samm­lung erschlossen, aber noch längst nicht durchforscht hat.

Sammlungsüberblick früheste Editionen
1516–1596 75 Editionen insgesamt.
1542–1589 20 Editionen mit Illustrationen, davon sieben in der Sammlung Wilke, fünf da­von in erster bzw. einziger Auflage. Erste ganzseitige Holzschnitte enthält die Valgrisi-Ausgabe von 1556, erste ganzseitige Kupferstiche, von Girolamo Porro, die Edition von Francesco Franceschi 1584.
1546 Gabriel Giolito de’ Ferrari Venedig (1. Auflage 1542)
1570 Guglielmo Rouillio Lyon (1. Auflage 1556)
1574 Domenico G. Battista Guerra Venedig (1. Auflage)
1580 Domenico Farri Venedig (1. Auflage)
1580 Vincenzo Valgrisi Venedig (1. Auflage)
1584 Francesco Franceschi Venedig (nur eine Auflage)
1589 Girolamo Polo Venedig (1. Auflage)

Die Editionen des 17. Jahrhunderts

Fünf Editionen mit Illustrationen des Orlando furioso aus dem 17. Jahrhundert gehö­ren zur Sammlung Wilke9. Vier Verlage hatten schon vor der Jahreswende 1599/1600 erste Auflagen des Epos publiziert.

Von ihnen ist Fioravante Prati relativ unbekannt geblieben, der Verleger wird von Ottavio Morali 1818 in einer Fußnote erwähnt10, seine Orlando-Edition von 1603 mit den argomenti von Lodovico Dolce und den Allegorien von Tomaso Porcacchi liegt vor. Eine frühere Ausgabe von 1595 wird in bibliographischen Listen erwähnt. Die Bei­träge von Dolce und Porcacchi waren schon in frühere Editionen verschiedener Verlage aufgenommen worden, wie Titelblätter der Verlage Farri, Polo und Guerrra zwischen 1580 und 1600 anzeigen; der Name Porcacchi (1530–1585) taucht in der Sammlung zu­erst bei Miserinos Edition von 1600 auf.

Die vom Verlag Evangelista Deuchino publizierte Orlando-Ausgabe zeigt u. a. Holz­schnitte, die auf die Ferrari-Ausgabe von 1546 zurückgehen. Evangelista Deuchino hat­te die Leitung des Verlags übernommen, als sein Vater, der Verlagsgründer Pietro Deuchino, 1581 starb. Dieser hatte schon 1574 und 1587 illustrierte Orlando-Ausgaben herausgegeben. Evangelista lebte in Treviso und ging erst 1606 nach Venedig, wo er 1607 jene Orlando furioso-Edition publizierte, die Teil der Sammlung ist.

Der Verleger Nicolo Miserino hingegen lebte von 1589 bis 1635 in Venedig. Er druck­te 1600 ebenfalls die argomenti von Lodovico Dolce und Allegorien von Tomaso Porcacchi. Die kleinen Abbildungen (2,9 cm × 3,5 cm) seiner Edition des Orlando las­sen sich motivisch ebenfalls auf die Ferrari-Illustrationen zurückführen, unterscheiden sich aber in der Dichte der Schnitte, im Format und in der Formgebung der Gestalten und Gegenstände deutlich von der Vorlage. Zuweilen wurden auch die Seiten ver­tauscht. Im Druck gab der Grafiker den Figuren und Gegenständen eine breite Kontur; für die Darstellung dunkler Stellen wie Schatten wurden relativ breite Schraffuren eingesetzt. In seinen Landschaften vermied er die kartografisch bedingte Aufsicht auf die Szenerie, setzte vielmehr die Handlung im Vordergrund auf Augenhöhe an. De­tails in der Bild- und Raumtiefe bleiben eher pauschal angedeutet – einige Dächer und ein Kirchturm stehen für ‹Stadt›, einige gebogene Linien für ‹Berge›. Miserinos Gra­fiker ist bisher namenlos geblieben.

Chronologisch folgt auf die Editionen von Miserino und Prati das Werk von Clayde de Villain (1571–1648, Rouen). Seine erste Ausgabe des Orlando von 1610 wird 1618 neu aufgelegt. Diese befindet sich in der Sammlung Ulrich Wilke. Die bei de Villain ge­druckten Holzschnitte gelten ebenfalls als Nachschnitte der Edition von Ferrari 1546; sie zeigen Übereinstimmung in der Größe, aber auch Abweichungen in der Darstel­lung.11 Die Verwandtschaft wird in Ulrich Wilkes Veröffentlichung von 2015 zu seiner Sammlung an wenigen Beispielen belegt. Insgesamt ist aber Villains Illustration ein­facher in den Details. Ferrari hatte mit stärkeren Lichteffekten in den Grafiken gearbei­tet. Auch die von Villain veröffentlichten Illustrationen zu den fünf Nachgesängen sind tatsächlich Nachschnitte, zum Teil aus dem Bilderreigen der Canti von Ferrari, der die Nachgesänge noch nicht kennen konnte, zum anderen Teil von Deuchino, der aber seine Motive zu den Nachgesängen auch aus den Illustrationen zu den vorausgegange­nen Canti gewählt hatte.12

Fünfzig Jahre später, 1668, zwanzig Jahre nach Ende des Dreißigjährigen Krieges, in dem fast nur noch Verlage in Venedig Orlando-Bücher gedruckt hatten, hat Zaccaria Carlo Conzatti ebendort eine neue Orlando-Edition herausgegeben, deren Nachfrage wenige Jahre später, 1672, eine neue Auflage erforderte. Diese befindet sich in der Sammlung Wilke. Sie besticht durch die ungewöhnliche Breite der Drucke (4,6 cm × 8,5 cm). Jedem Canto wurde ein Holzschnitt zugeordnet, aber nur 22 sind neue Er­findungen, die anderen sind Wiederholungen. Die Grafiker ziehen ihre Motive sehr in den Vordergrund. In der Blatttiefe bleibt wenig Raum, Häuserfronten oder Mauern, Zimmerwände, undefinierte Ecken begrenzen ihn. Selbst der Lanzenwald eines Ritter­heeres kann die Tiefe verschließen. Nur in den Bildern zu den Canti 4, 11 und 26 wird der Raum bis zu einer Burg und zu fernen Bergen geöffnet. Betrachtet man die Einfär­bung und die lineare Schnittfolge, dann lassen sich Illustrationen von drei Grafikern oder Arbeitsphasen unterscheiden.

Neben den neuen 22 Holzschnitten hat der Verlag in dieser Edition 17 Vignetten ver­öffentlicht. Sie sind mit Wahlsprüchen versehen und zeigen in ihrer Darstellung hauptsächlich Motive aus der Tier- oder Pflanzenwelt, einfache, aber humorvolle Dar­stellungen, eingepasst in ein Rondo oder Oval. Einige dieser Vignetten zeigen außer­halb davon zusätzlich Bordüren, deren Spitzen auf die Ecken des bedruckten Blattes ge­richtet sind.

Zusammenfassend lässt sich bezüglich der gesammelten Illustrationen zum Orlando im 17. Jahrhundert sagen, dass sie mit früheren Editionen, vor allem mit denen von Ferrari, eng verbunden sind. Die Texte und Allegorien von Lodovico Dolce und Tomaso Porcacchi, inzwischen mehr als hundert Jahre alt, wurden weiterhin gedruckt. Die Zahl von 425 präsentierten Illustrationen in Ulrich Wilkes Veröffentlichung zu seiner Sammlung ist außerordentlich; vorher gab es nur 108 Reproduktionen als Zusammen­schau in der Veröffentlichung von Ugo Bellocchi und Bruno Fava zu sehen.13

Sammlungsüberblick 17. Jahrhundert
1600 Nicola Misserino Venedig
1603 Fioravante Prati Venedig
1607 Evangelista Deuchino Venedig (1. Auflage 1574)
1617 Clayde de Villain Rouen
1672 Zaccaria Carlo Conzatti Venedig

Die Editionen des 18. Jahrhunderts

Die Sammlung Ulrich Wilkes umfasst zehn Orlando-Editionen, die zwischen 1713 und 1795 veröffentlicht wurden.14 Die erste Ausgabe des Orlando furioso von Domenico Lo­visa erschien 1713. Ulrich Wilke nennt weitere Editionsjahre, 1725 und 1730, illustriert mit Holzschnitten unterschiedlicher Formate. Die Grafiker, die für Lovisa arbeiteten, hatten gute Kenntnis früherer Illustrationen, an deren Inhalte sie sich gehalten haben.15 Ebenso verwendete Dominico Lovisa die argomenti von Lodovico Dolce und die Al­legorien von Tomaso Porcacchi, was sein Werk mit den Editionen des 16. Jahrhunderts verbindet. Doch in der Komposition der einzelnen Seite scheint es schon ganz dem 18. Jahrhundert zu gehören: Jede Seite zeigt einen strengen, auf geometrischen For­men basierenden Aufbau, umgeben und gegliedert von zarten und einfachen Bordüren, die auch die Seite horizontal für argomento, Illustration und Allegorie teilen. Die zier­liche und zugleich strenge Komposition der Seite spielt mit der Vorliebe für Ornamente im Rokoko und zugleich mit einer straffen Form, in der sich die Lust an Konventionen zeigen mag.

Der Verleger Stefano Orlandini hat 1730 in zwei Folio-Bänden alle Werke von Ariost und zugleich Texte zahlreicher Gelehrter zum Orlando publiziert: Ein Vorwort von Clemente Valvassori, eine Biographie Ariosts von Giovanni Pigna, eine weitere Biogra­phie von Girolamo Garofalo und Simon Fornari, eine universale Allegorie von Gioseffo Bonomone und Allegorien von Orazio Toscanella, allesamt aus dem 16. Jahrhundert, gehen den Bildern voraus. Dazu kommen die Annotationen von Lodovico Dolce und Girolamo Ruscelli und die Allegorien von Porcacchi. Orlandini zieht bewusst eine Bilanz, denn er veröffentlicht auch eine Liste aller Orlando-Editio­nen seit 1515 bis 1730.

Seine Abbildungen sind in der Sammlung erstmals seit der Franceschi-Porro-Publi­kation 1584 wieder Kupferstiche. Ulrich Wilke hat die Kupferstiche nach Signaturen untersucht: Viele Bordüren wurden von Giuseppe Filosi signiert, daneben gibt es auch vereinzelte Bildsignaturen von Giuliano Giampiccoli (1703–1759). Etliche Drucke blieben unsigniert. Die vier unterschiedlichen Bordüren-Arten werden sowohl von Giampiccoli wie von ungenannten Grafikern verwendet.

Giuseppe Filosi (1711–1767) war 1738 in Verona, 1744 in Florenz und hatte auch die Niederlande sowie England besucht. Seine Illustrationen in der Edition von Stefano Or­landini rücken den Tafel-Charakter der Bilder in den Mittelpunkt: Der damalige Leser betrachtet – zweihundert Jahre nach der Erstveröffentlichung des Orlando – Historie und Abenteuer, wird aber deutlich durch die Bildrahmen und noch stärker durch die Bordüren, plastisch wirkende Kunstwerke wie sie der spätbarocken Architektur-Idee entsprechen, vom Geschehen distanziert. Dem Betrachter wird sichtbar gemacht, dass es sich um vergangene historische Ereignisse handelt: Stärker als seit vielen Jahrhun­derten setzte im 18. Jahrhundert im Rahmen der Aufklärung das Bewusstsein für Geschichte und damit für Tradition und Herkunft ein, wie es diese unvergleichlichen Bilderzählungen zum Ausdruck bringen. Dem entspricht, dass das Einzelgeschehen zwar im Vordergrund steht, aber stets in einer vielfältig gegliederten Landschaft mit vielen Personen integriert ist.

Mehr als 40 Jahre später, 1772, gab Antonio Zatta (1757–1797 tätig) gleich drei im Format unterschiedliche Orlando-Editionen heraus. Das inzwischen veränderte Selbst­verständnis der Mitarbeiter zeigt sich daran, dass sie ihre Zeichnungen und Drucke si­gnierten und damit ihre Namen überlieferten. Eine zentrale Rolle bei diesen Zatta-Editionen spielte Antonio Novelli (1729–1804), der als Maler und Zeichner Anerken­nung gefunden hatte. Einzelblätter haben Iohannes Carri Ferrar, Aloys Passega Ferrar und Giuseppe Zaise geliefert. Nach ihren Vorlagen hat Giuliano Zuliani (1730 – ca. 1814 Venedig) 27 Kupferplatten gestochen. Andere Platten fertigten Giuseppe Daniotto, F. Fanbrini, J. Leonardis, Tomaso Baratti und Giacomo Malosso an. Auch einige Vig­netten wurden als Zeichnung von G. Zompini, B. Crivellari und Gioa Magnini signiert; gestochen haben sie G. M., B. Crivellari, Nicol. Lindeman, C. P. E., Z. Magnini und M. Giampiccolo. Die meisten Vignetten sind unsigniert geblieben. Von den drei un­ter­schiedlichen Größen dieser Orlando-Edition enthält die Sammlung Wilke ein Werk von 28,5 cm × 20 cm Umfang. Die Kupferstiche sind 21,2 cm × 13,2 cm groß.16

1785 wurde eine dieser Ausgaben noch einmal neu unter dem Verleger-Namen Antonio Zatta Figli in Venedig in fünf Bänden aufgelegt. Der Zeichner wird nicht ge­nannt, dürfte aber stilistisch Antonio Novelli nahestehen oder sogar er selbst gewesen sein. Denkbar wäre auch eine gemeinsame Werkstatt. Die Zeichnungen realisiert haben die Grafiker G. Zuliani, Canto 1–26 und Nachgesänge 2–4; Giuseppe Daniotto (1741–1789), Canto 19–22, Nachgesang 1; und Cristoforo Dall’Aqua (1734–1787), Canto 27–46, Nachgesang 5.

Die Ausgabe des Druckers John Baskerville (1706–1775) in Birmingham, 1773, für die in Paris lebenden italienischen Molini-Brüder wurde mit 46 Radierungern nach Zeichnungen von Giovanni Battista Cipriani (1727–1785), Charles Nicolas Cochin II (1715–1790), Charles Dominique Joseph Eisen (1720–1778), Jean-Baptiste Greuze (1725–1805), Charles Monnet (1732 – nach 1808) und Jean-Michel Moreau le Jeune (1741–1814) versehen. Auch wurde eine Sonderedition im Folioformat in einer Auf­lage von 100 Exemplaren angeboten.

Zwei Jahre später erschien in Paris die 8°-Edition von Pierre Prudance Brunet in französischer Sprache nach der Übersetzung von M. d’Ussieux. Sie hatte weitere 46 Kupferstiche, sodass pro Gesang nun zwei Bilder vorhanden waren. Die Größe der Stiche betrug 13,5 cm × 9,6 cm. Da keine Druckimpressionen der Platten in dieser Buchausgabe zu sehen sind, ist anzunehmen, dass die Seiten aus größeren Flächen be­schnitten wurden, während bei den Drucken des Sammler-Bandes aus privater Hand, den Ulrich Wilke erworben hat, und in der Plassan-Edition von 1795 solche Druck­spuren noch gut erkennbar sind. Namen von Zeichnern und Stechern werden unter den Bildern genannt.

Ergänzend zu dem Sammler-Band mit offenbar 90 einzelnen Stichen (nicht in Buch­form mit zusammenhängenden Blättern), in Folioformat gedruckt und mit Kommen­taren des früheren Besitzers auf separaten Seiten versehen17, konnte Ulrich Wilke 2015 noch eine Gruppe von 29 Kupfern der Baskerville-Edition ohne Plattenrand erwerben. Seine Kollektion deckt damit die vom Pariser Verlag Brunet 1775 publizierte Edition des Orlando Furioso vollständig ab und umfasst darüber hinaus große Teile der 1773 gedruckten Baskerville-Ausgabe aus Birmingham. Die Kupferstiche der Baskerville- und Brunet-Editionen lassen keine einheitliche Stilauffassung erkennen, wohl aber die Orientierung an vorausgegangenen Motiven. Ulrich Wilke hat eine Liste mit den Zeichnern und Druckern in der Edition zu seiner Sammlung veröffentlicht und angege­ben, welche Canti sie bearbeitet haben. Dabei wird deutlich, dass die Bearbeitungen nicht nach einem vorgegebenen Schema erfolgt ist: Die Kombination des Zeichners Co­chin mit dem Grafiker Ponce bildete das Rückgrat, doch mehrere Blätter hat Cochin auch mit de Launay erarbeitet, einzelne mit Lingeé. Andere Zeichner haben auch mit diesen und anderen Grafikern kooperiert.

Die Illustrationen werden 1795 von P. Plassan noch einmal verwendet, nun aber offenbar beschnitten oder in einem früher schon bei Brunet beschnittenen Zustand ver­trieben.

Die Ausstrahlung des Französischen während des Ancient Régime bis nach Potsdam und Berlin ist vielfach belegt. Ein weiteres Beispiel liefert Daniel Nikolaus Chodowiecki (1726–1801) mit seinen im Almanac genealogique pour l’année à 1772 veröffentlichten Radierungen zum Orlando furioso. Chodowiecki war zugleich Zeichner und Radierer, lebte seit 1743 in Berlin und hatte zunächst mit der Illustrierung von Kalendern und Al­manachen so großen Erfolg, dass er eine Werkstatt mit zahlreichen Gehilfen einrich­ten konnte. Zugleich lehrte er an der Königlich-Preußischen Akademie in Berlin, deren Direktor er 1797 wurde. Seine Orlando-Radierungen zeigen nichts vom bürgerlich-behaglichen Stil anderer Chodowiecki-Werke, wohingegen in einzelnen Siegerposen etwas vom Pathos des höfischen Lebens. Die phantastischen Lebewesen des Orlando-Epos werden von ihm ins Groteske zugespitzt.

Demgegenüber wählte der französische Maler Jean-Honoré Fragonard (1732–1806), der vor der Revolution zu den erfolgreichsten französischen Künstlern zählte und oft in einem Atem mit Francois Boucher und Antoine Watteau genannt wird, eine andere Darstellungsweise, in der das Zierliche und Spielerische des Rokoko zur Geltung kommt: die lockere, nur auf den Vordergrund bezogene Zeichnung, wobei sich der Künstler von Details wie Rüstungen, Waffen, Bäumen oder Landschaft nicht auf­halten ließ. Alles, was in der Tiefe geschieht, wird in wenigen kurzen Schwüngen aufge­löst. Die Zeichnung ist eindrucksvoll auf eine Handlung konzentriert, was man in vielen seiner Bilder wiederentdeckt, wenn im dunklen Raum das Geschehen nur von Kerzenlicht erhellt wird.

Die englische Editionsgeschichte des Orlando furioso ist ein eigenes Thema, das auf der Insel bis heute ausführlich behandelt wurde. Nach der Baskerville-Ausgabe hat der Autor John Hoole (1727–1803) den Ariost-Text noch einmal übersetzt und in einer zweibändigen Ausgabe 1791 reduziert auf 24 Canti mit sechs Kupferstichen publiziert. Wie Baskerville hat Hoole für die Bebilderung mehrere Künstler für jeweils eine oder zwei Szenen beauftragt.

Unter den Künstlern ist zunächst die Malerin Angelika Kauffmann (1741–1807) zu nennen, die etliche Jahre in London gelebt hat, zum Erscheinungsdatum dieser Bän­de aber schon nach Rom gezogen war. Ulrich Wilke führt einige wichtige Daten in seiner Veröffentlichung an.18 Kauffmanns Beitrag thematisiert die beiden Frauengestal­ten Angelika und Dorelise; die erste steht vor einer verfänglichen Situation, aber im Hintergrund nähert sich schon die Retterin Bradamante; die zweite trifft ihren späteren Ehemann. Die Zeichnerin setzt die Kenntnis des Textes voraus.

Der zweite herausragende Künstler war William Blake (1757–1827), der die Radie­rung zum Canto 23, zu der Thomas Stothard (1755–1834) die Zeichnung lieferte, ge­druckt hat. Als Grafiker hatte sich Blake schon einen Namen gemacht, als Maler wurde er erst viel später geschätzt. An den übrigen Kupferstichen waren als Zeichner Metzel Heath und William Hamilton (1751–1801) und als Grafiker Francesco Bartholozzi (1727–1815), der zuvor mit Giovanni Cipriani an Brunets Orlando-Edition gearbeitet hatte, ferner Joseph Collyer (1748–1828), Ank. Smith und James Caldwell (1739–1822) beteiligt.

Sammlungsüberblick 18. Jahrhundert
1713 Domenico Lovisa Venedig
1730 Stefano Orlandini Venedig
1772/73 Antonio und Giovanni Zatta Venedig
1773 John Baskerville Birmingham
1775/83 Pierre Prudence Brunet Paris
1778/97 Tommaso Masi London, Livorno 4 Bände
1785 Antonio und Giovanni Zatta Nizza 5 Bände
1791 John Hoole London
1795 P. Plassan Paris 5 Bände
Sammler-Band mit 90 Kupferstichen der Pariser Ausgabe von 1795
Zeichner
Charles Nicolas Cochin le Jeune 1715–1790
Giovanni Battista Cipriani 1727–1785
Jean Michael Moreau le Jeune 1741–1814
Charles Eisen 1720–1778
Benoît-Louis Prévost 1735–1804
Jean-Baptiste Greuze 1725–1805
Stecher
Nicolas Ponce 1746–1831
Francesco Bartolozzi 1728–1813
Jean Michel Moreau 1741–1814
Nicolas de Launay 1739–1792
Emmanuel-Jean-Népomucène de Ghendt 1735–1815
Einzelblätter von Kombinationen
Jean Michel Moreau 1741–1814 Cochin – Ponce 44
Isidor-Stanislas Helman 1743–1806? Cipriani – Bartolozzi 9
Pietro Antonio Martini 1738–1797 Cochin – de Launay 7
Antoine-Jean Duclos 1742–1795 Moreau – de Launay 6
Benoit Louis Henriquez 1735–1806 Eisen – de Launay 3
Benoît-Louis Prévost 1735–1804 Cochin – Lingée 2
Jean Massard 1740–1822 Eisen – de Ghendt 2
Thérèse Eléonore Lingée 1753–1820
Jean Baptiste Simonet 1742–1813
Joseph de Longueil 1730–1792

Die Editionen des 19. Jahrhunderts

Aus der noch unbekannten Anzahl von Editionen des Werkes im 19. Jahrhundert hat Ulrich Wilke zwölf Ausgaben im dritten Band seiner Buchausgabe vereint – mit 1100 Illustrationen zu Ariosts Orlando erneut ein wahres Bilderbuch.19

Etliche Verleger haben wie zuvor zahlreiche Texte von früheren Veröffentlichungen übernommen und deren Bilder als Vorlagen für Nachstiche verarbeitet. Besonders be­liebt war die Brunet-Ausgabe, Paris 1775 und 1783, der die Baskerville-Edition in Birmingham 1773 vorausgegangen war. Mehrere Pariser Verleger haben auf diese Edi­tion zurückgegriffen, so etwa Plassan mit der Ausgabe von 1795 im Folio-Format, die ins kommende Jahrzehnt hinüber wirkte: Die von Plassan gedruckten Illustrationen wurden 1803 vom Verlag Fantin, Paris, übernommen und in einer neuen vierbändigen Ausgabe publiziert. Wenige Jahre später gab ebenfalls in Paris Louis-Alexis Duprat-Duverger eine Orlando-Edition mit zum Teil nach dem Original gespiegelten, ‹sei­ten­verkehrten› Nachschnitten der Baskerville- und der Brunet-Editionen heraus.

In Livorno erschien 1816 bei Tommaso Masi e compagni im 24°-Format die Neu­auf­lage einer Orlando-Edition von 1797 mit den aus der Baskervillle-Ausgabe über­nommenen, aber spiegelverkehrten und verkleinerten Nachschnitten von Pompeo und Giovanni Lapi von 1778–1781. Masi war vor allem Musik-Verleger, hatte aber auch Werke von Torquato Tasso und Petrarca herausgegeben.

Im gleichen Jahr publizierte Luigi Vannini im toskanischen Prato eine illustrier­te Ausgabe mit 46 seitenverkehrten Nachschnitten. Neuer Stecher war Antonio Verico (1775 – ca. 1846). Er fertigte verkleinerte Nachschnitte (10 cm × 6 cm auf 15 cm × 9,5 cm Seitengröße) der Baskerville-Edition von 1773 an.20 Abgedruckt wurden aber die Annotationen von Ieronimo Ruscelli 1555 und 1584, was dieser Edition eine besonde­re Note verschaffte; denn so wichtig Ruscelli im 16. Jahrhundert gewesen war, so wenig waren seine Texte im 18. und 19. Jahrhundert offenbar nachgefragt worden.

Die drei Editionen von Molini, Fleischer (1826) und de Passigli (1836) mit jeweils nur wenigen Kupferstichen aber umfangreichem Textmaterial zu Dante, Petrarca, Ariost und Tasso (Fleischer und de Passigli) werden in Ulrich Wilkes drittem Band in einem Kapitel zusammengefasst.

Im Unterschied zu den vorausgegangenen Editionen des frühen 19. Jahrhunderts enthalten die von David de Passigli edierten Ausgaben eigenständige Illustrationen von E. Pollastrini und Gonin und der Stecher Viviani und Lauro. Zwei Jahre später hat David de Passigli in Florenz einen umfangreichen Band Quattro Poeti Italiani heraus­gegeben, der ebenfalls Arbeiten von Pollastrini und Gonin, Viviani und Lauro zeigt. Auf einer Konferenz in Ferrara wurden die Kupferstiche 2016 kurz beschrieben: die Fi­guren detailreich, realistisch, proportional, inhaltlich aber den vorausgegangenen Abbildungen ähnlich; ausgeprägt sind Licht und Schatten – doch Dunkelheiten verhül­len nicht, lassen Dinge sichtbar bleiben; feine Abstufungen; Tiefe bleibt pauschal oder wird von Blattwerk oder Mauern versperrt.21

Im Jahr 1828 erschien bei Bartolomeo Pinelli in Rom ein Folioband mit 100 Radie­rungen ohne Begleittexte. Pinelli (1781–1835) war ein Illustrator großer Epen, darunter ein Ariost-Band. Alle Abbildungen von Pinelli sind gute Beispiele für neoklassizistische Auffassungen mit sehr dichten Darstellungen, vor allem der Natur, der Bäume. Jedes einzelne Blatt der Pflanzen ist gestochen scharf. Ihre Masse schirmt den Hintergrund ab.

Dass die Zeit zwischen 1828 und 1840 den Künstlern viel Freiraum ließ, sich der Klassik wieder zuzuwenden, ist bekannt. Ein Beispiel liefert der Zeichner und Radierer Filippo Pistrucci (1782–1859) mit einem sehr eigenwilligen Stil in der Orlando-Edi­tion von Gaspare Truffi, Mailand 1828. Pistrucci war einer der ersten, der einen neuen Kup­ferstich-Stil pflegte: Seine Figuren sind schlank, hochgewachsen bis überlang, reich an Gebärden und zeigen Empfindungen im Gesichtsausdruck. Die Gegenstände sind mit einer vielfältigen Ornamentik überzogen, selbst an einfachen Dingen zeigen sich mythologische Szenen. Ein deutlicher Unterschied in der Darstellung besteht zwi­schen den literarischen Vordergrund-Szenen und den zuschauenden Heerscharen oder Bevölkerungsmassen bzw. den Pflanzen, die sich rasch in der Bildtiefe auflösen. Das könnte bedeuten, dass an den graphischen Blättern in zwei Phasen gearbeitet wurde, vielleicht mit Gehilfen.

In Paris erschien 1835/39 im Verlag F. Knab eine illustrierte Prosaübersetzung von M. A. Mazuy. Die Ausgabe umfasst 3 Bände mit 86 aufgewalzten ganzseitigen Holz­schnitt-Illustrationen u. a. von Meissonier, Marckl, Girardet und Tellier als Zeichner.

Jean Louis Ernest Meissonier (1815–1891) zählt zu den bekanntesten französischen Malern des 19. Jahrhunderts; aber um 1839 musste er noch Auftragsarbeiten wie die Il­lustrierung von Knabs Orlando-Ausgabe übernehmen. Es entstand ein realistisches Menschenbild, das offenbar vom Publikum geschätzt wurde.

Von anderen Mitarbeitern Knabs ist Charles Girardet hervorzuheben, ein Schweizer Maler und Kupferstecher (1810–1871). Unter den Graphikern ragt Antoine-Alphée Piaud hervor, der vor allem Bilder von Gustav Doré gedruckt hat.22 Ebenfalls erwähnt werden Theodore Leclere als Herausgeber eines Abrégé du Catechisme in Paris23 und der Holzschneider Henry-Isidore Chevauchet (1813–?), der auch die Comédie Hu­maine von Balzac sowie den Robinson Crusoe und den Don Quijote gestochen hat. Zu weiteren Mitarbeitern finden sich vorerst keine Hinweise.

Eine 1844 bei Achille e Spirito Batelli in Florenz erschienene dreibändige Ausgabe war mit 92 Kupferstichen nach Vorlagen von Gozzini versehen. Im gleichen Jahr erschien bei J. Mallet in Paris eine einbändige Prosa-Ausgabe mit 25 Kupfern in einem brei­ten Querformat und ca. 300 Vignetten auf 616 Seiten. Bilderfinder waren die Maler und Zeichner Tony Johannot (1803 Offenbach – ? Paris), Henri Charles Antoine Baron (1816–1885) und Célestin Nanteuil (1813–1873), der 1843 Museumsdirektor in Dijon wurde. Er hat auch Illustrationen zu zeitgenössischen Autoren wie Victor Hugo und Alexandre Dumas gefertigt.

Aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts umfasst die Sammlung Ulrich Wilke vier Editionen. Die 1850 bei Gustave Havard in Paris erschienene illustrierte Ausgabe in Folioformat war auf Zeitungspapier gedruckt und mit 84 verkleinerten Illustrationen der Knab-Ausgabe von 1835 versehen. Der ursprüngliche Preis von 20 Centimes erscheint uns heute nicht nur erschwinglich, auch kurios.

In Mailand veröffentlichte Francesco Pagnoni 1869 einen Folioband des Orlando mit 25 ganzseitigen Kupfertafeln, auf denen jeweils 4 Abbildungen zu sehen sind. Die Bilderfinder und Stecher dieser Ausgabe sind laut Hinweis von Agnelli und Ravegna­ni anonym geblieben.24

Die Knab-Edition, 1839, hat auch in Spanien Interesse gefunden: In Barcelona er­schien 1872 im Verlag Jaime Jepusa eine zweibändige illustrierte Ausgabe mit 32 Kup­ferstichen und einem Prosatext in der Übersetzung von D. Manuel Aranda y Sanjuan (1845–1900). Die signierten Nachschnitte von T. Padro und Romeau halten sich eng an die Bilder der Knab-Ausgabe, verkehren zuweilen nur die Seiten.

Und schließlich besitzt Wilke die Ausgabe von Gustave Doré, der 1879 dem Verlag S. Schottlaender in Breslau fast 300 Illustrationen zum Orlando zur Verfügung gestellt hatte. Sie wurde zwei Jahre später von den Gebrüdern Treves auch in Italien, in Mai­land ediert.

Sammlungsüberblick 19. Jahrhundert
1816 Luigi Vannini Prato
1826 Molini Florenz
1828 Bartolomeo Pinelli Rom
1828 Gaspare Truffi Mailand
1839 F. Knab Paris
1844/50 Acello und Spirito Batelli Florenz
1844 J. Mallet Paris
1850 Gustave Havard Paris
1869 Francesco Pagnoni Mailand
1872 Jaime Jêpus Barcelona
1879 Paul Gustave Doré Breslau

Die Editionen des 20. und 21. Jahrhunderts

Die Sammlung Ulrich Wilke weist unter Wahrung des besonderen Interesses an Illus­trationen zehn Editionen des Orlando aus dem 20. und 21. Jahrhundert auf und da­zu zwei illustrierte Bücher.25 1905 hat der Verlag George Bell and Sons, London, in zwei Bänden eine Orlando-Ausgabe publiziert, zu der G. Stephenson einige Illustrationen der Brunet-Edition von 1783 sowie Stiche von Cochin, Cipriani und Moreau in Stahlsti­che übertragen und zum Teil gespiegelt hat. Der Text beruht auf einer Übersetzung von William Stewart Rose.

Etwas Außergewöhnliches folgte 1912: Das Puppenspiel Orlando und Angelika von Julius Meier-Graefe (1867–1935) mit Lithographien von Erich Klossowski (1975–1949), im Verlag Paul Cassirer, Berlin. Julius Meier-Graefe berichtete 1912 in einem Brief an Samuel Fischer:

Klossowski und ich sind im vorigen Herbst zusammen in Neapel gewesen und sahen dort Vorstel­lungen des alten Marionettentheaters – Die Puppen sind fabelhaft. [Den] Text habe ich sehr frei übertragen […] er ist nun in ganz fabelhafter Weise von Klossowski illustriert worden. Ich glaube nicht, daß Sie so etwas von Klossowski gesehen haben. Er ist nach meiner Ansicht, die nicht allein steht, der bei weitem talentvollste unter den jungen Deutschen […].

Das alte Marionettentheater war das Teatro Stella Cerere in Neapel, das kurze Zeit spä­ter abbrannte, was Julius Meier-Graefe zu der Dichtung veranlasste.26

Nach dem Krieg erschien im Verlag Casa Editrice Sonzogno, Mailand, eine neue Or­lando-Edition mit 80 Illustrationen von Alberto Artioli (1881–1917) aus Modena. Mit diesem traditionsreichen Verlag, gegründet als Druckerei 1804, als Buchverlag 1807, begann 1920 eine neue Phase der Rezeption, denn der Verlag konzentrierte sich auf Magazine, Zeitschriften und Publikationen von unterhaltendem Charakter. Bei einigen späteren italienischen Editionen, die den Orlando herausgegeben haben, tritt diese Tendenz auch hervor. Schon der jung verstorbene Alberto Artioli hatte am Ju­gendstil orientierte dramatische Szenen mit leichten und witzigen Zeichnungen über jedem Canto verbunden, deren Lockerheit den zuletzt düsteren Illustrationen des 19. Jahrhunderts entgegengesetzt war.

Der Nerbini Verlag, 1887 in Florenz gegründet, intensivierte die Tendenz: Er hatte zu Beginn der dreißiger Jahre die amerikanischen Comics nach Italien geholt und zuweilen mehr als 100 000 Exemplare in der Woche verkauft. 1933 und 1962 veröffent­lichte er eine Orlando-Ausgabe mit über 100 Stichen und farbigen Lithographien von Fabio Fabbi (1861–1946), Bologna, und mit Texten, die M. Guarnieri gesammelt hatte. Die Bilder von Fabbi verharren im märchenhaft- romantischen und detailreichen Stil des späten 19. Jahrhunderts. 1936 musste der Verlag auf Druck der faschistischen Regierung an einen Konkurrenten verkauft werden, konnte aber im Kleinen weiter­hin publizieren.

Nach dem zweiten Weltkrieg war der Verlag Labor in Mailand wahrscheinlich der erste, der den Orlando-Stoff wieder aufgegriffen hat. Er arbeitete mit Illustrationen von Giambattista Galizzi (1882–1963), die in der Verlagsanzeige so beschrieben wurde:

Gli editori, con questa pubblicazione dell’«Orlando furioso» si propongono lo scopo di offrire la nuova genialissima interpretazione artistica del fantasioso pennello di G. B. Galizzi che già si impo­se agli ammiratori delle edizioni artistiche, che sentono vivo il culto del bello, con la illustrazione dei Santi Evangeli, del Poema dantesco [sic] e dei Promessi sposi.27

Fabrizio Bondi beschreibt in seiner Analyse der Ausgabe den Charakter der Illustratio­nen und das Vorgehen des Künstlers ausführlich:

Queste ultime, a propria volta, dovevano soddisfare pienamente il «culto del bello» di un pubblico piccolo o medio-borghese suscettibile di scandalizzarsi ancora (1945) per le ironiche oscenità del Furioso. Gli editori non esitarono infatti a sforbiciare con disinvoltura intere novellette, sottolinean­do nello stesso tempo solo il lato pio della considerevole opera illustrativa di Galizzi […]. Galizzi, senz’altro uno dei più importanti illustratori della prima metà del secolo, era un noto e premiato pittore sacro, ricercatissimo per chiese e cappelle di città e campagna, ma anche notevole caricatu­rista e disegnatore satirico (in quest’ultima veste aveva messo, durante la Grande Guerra, la sua matita al servizio della propaganda anti-austriaca). Un artista ‹laureato›, dunque, non mancante di nessuna unzione ufficiale, accademica o ecclesiastica; eppure, chi guarda oggi le sue tavole non può che venir preso da una netta sensazione di inquietudine. Questo Furioso, ad esempio. La prima impressione – purché molto distratta – può anche essere quella d’una vivacità fiabesca, un vi­gnettismo raffinato e popolare insieme, spirante la grazia ingenua di quei vecchi libri illustrati per l’infanzia passati ‹da bambino a bambino› per due o tre generazioni. Basta indugiarvi un poco, però, ed ecco apparire inverecondi affioramenti di inconscio e sarcasmi neri, in mezzo ai quali l’in­genuità e il candore permangono, ma nel modo in cui potrebbero essere simulati da un libertino. […] Questo Furioso di Galizzi è uno spettacolo notturno: la selva, il vago labirinto del gioco dell’oca cavalleresco vi diviene la foresta oscura del romanzo gotico, con tanto di alberi contorti; è una fia­ba dell’orrore: l’illustratore inventa ad esempio un ippogrifo altrettanto grande e mostruoso del mo­stro con cui combatte; è, infine, una favola di animali. Si avverte nell’animo di Giovan Battista un fondo di cupo moralismo, che combinato alla sua formazione simbolista e alla pratica del disegno satirico, lo rendono sensibile alle metafore zoologiche (spesso visualizzate) così frequenti nel dicta­tus del poema, e alle scene allegoriche in cui agiscono personificazioni di vizi. In queste ultime emerge chiaramente l’influsso di Goya, uno dei punti di riferimento del fare pittorico del nostro. I disastri della guerra, i mostri generati dal sonno della ragione sono in effetti le chiavi prevalenti con cui Galizzi affronta le battaglie dei cavalieri, e non pare strano, se si pone mente all’anno di pub­blicazione di questo libro. Tutto il suo immaginario è del resto pregno di crudeltà, stemperata magari dal grottesco, ma quasi mai dal comico puro. Raramente egli scherza, e quando lo fa è pun­gen­te, popolaresco, un po’ greve.28

Zu den ersten Publikationen des Orlando nach dem Zweiten Weltkrieg zählt das von UTET 1945 herausgegebene Buch mit einer Nacherzählung von Antonio Radames Fer­rarin, der sich als Schriftsteller und Literaturkritiker einen Namen gemacht hat, und mit Illustrationen von Gustavo Rossi, genannt Gustavino (1881–1950). Der renommier­te, seit 1791 existierende Verlag in Turin hatte schon 1926 eine Orlando-Edition herausgegeben und noch einmal 1966 sowie Boiardos Orlando innamorato publiziert. Gustavinos Illustrationen halten sich formal an die Überlieferung; lediglich in der Leichtigkeit, mit der sich Ritter in die Lüfte erheben, wird der Fantastik der Orlando-Geschichte entsprochen, wobei Gustavino das Geschehen stets in einen Ton zwischen Gelb und Braun in allen Schattierungen fasst und von der Realität distanziert. Be­tont märchenhaft in der Darstellung sind auch die eingestreuten schwarzweißen Zeich­nungen.29

Eine Generation jünger war Fabrizio Clerici, mit dessen 150 Illustrationen das Electa Istituto Editoriale in Mailand 1967 den Orlando furioso veröffentlichte. Die Einführung stammt von Riccardo Bachelli. Clerici (1913–1993) ist von den modernen Künstlern, die sich in Italien mit dem Orlando befasst haben, wohl der bekannteste. Er fand Zugang zu den Künstlerkreisen der pittura metafisica und entwickelte selbst in Malerei und Zeichnung eine fantastisch manieristische Welt, in der die Erde ihre Anziehungs­kraft verliert, in der gewaltige Architekturwerke über den Horizont hinaus wachsen. Die Zeichnungen zum Orlando dagegen sind realistischer, sie zeigen nur einen Zug von Hast, als sollte die Zeit überholt werden. Das bedeutete formal die Trennung von der Tradition.

Es überrascht schließlich auch nicht, wenn der Maler Johannes Grützke nur Mo­ment­aufnahmen, aber keine ausführliche Darstellung von Handlungen zur Nacherzäh­lung des Orlando-Geschehens von Italo Calvino gezeichnet hat. Das Buch ist erstmals 1970 erschienen und wurde posthum im neuen Jahrhundert wieder aufgelegt, ähnlich wie die Ausgaben mit Zeichnungen von Grazia Nidasio 1995 und 2009 im Verlag Pa­lomar Mondadori. Die Künstlerin hat 2009 dem Autor Giorgio Bacci30 ein lesenswertes Interview über ihren Ansatz bei den Illustrationen zum Orlando gegeben, worin sie die seit Kriegsende gewachsene Kinderfreundlichkeit bei der zeichnerischen Verarbei­tung des Stoffes hervorhebt. Die Arbeiten von Grazia Nidasio wurden 2016 zur 500‑Jahrfeier der Erstveröffentlichung des Orlando, die die Universitätsbibliothek von Pavia veranstaltete, erneut mit Calvinos Text veröffentlicht.

Dieser Ansatz einer Popularisierung des historischen Stoffes, ohne dabei künstleri­sche Qualität zu vernachlässigen, findet sich auch in den von Animationsarbeiten inspirierten Beiträgen der Brüder Paul und Gaetano Brizzi, die bei Polistampa 2005 ihre Orlando-Version veröffentlicht haben. Sie signieren gemeinsam PG Brizzi, aber Paul gestaltet die Figuren und Gaetano die Landschaften und Paläste in gewalti­gen Proportionen, vielleicht in Anlehnung an Clerici. Die Gebrüder Brizzi hätten das Werk von Gustave Doré studiert, seine dunklen Wälder und geheimnisvollen Stimmun­gen, heißt es.31

Ebenfalls 2005 erschien bei FMR ARTE in Mailand Orlando Furioso, erzählt von Walter Pedullà mit Illustrationen von Elvio Marchionni in einer limitierten Auflage von 975 Exemplaren. In der Sammlung Ulrich Wilke befindet sich die Nummer 794. Mar­chionni gehört zu den italienischen Künstlern, die die Kunsttraditionen ihres Landes nicht vernachlässigen, sie aber mit zeitgenössischen Vorstellungen zu verbinden suchen. Der Verzicht auf eine farbige Differenzierung der Formen lässt die Illustration wie aus vergangenen Zeiten erscheinen, doch die lockeren Zeichnungen mit wenig Handlung, das Spiel mit Putti und Textseiten und die zuweilen fantastischen Architek­turen, wie sie Clerici in seinen Orlando-Illustrationen eher vermieden hat, weisen Elvio Marchionnis Arbeiten als zeitgenössisch aus.

Sammlungsüberblick 20./21. Jahrhundert
1905 George Bell and Sons London
1906 Paolo Carrara Mailand mit Nicola Sanesi
1912 Julius Meier-Graefe Berlin Ein Puppenspiel
1920 Casa Editrice Sonzogno Mailand mit Alberto Artioli
1933 Nerbini Florenz mit Fabio Fabbi
1945 Giambattista Galizzi Mailand
1945 UTET Turin mit Gustavino
1970 Electa Istituto Editoriale Mailand mit Fabrizio Clerici
1970 Calvino München mit Johannes Grützke
1995 Calvino Mailand mit Grazia Nidasio
2005 Paul e Gaëtan Brizzi Florenz
2005 FMR Arte Mailand mit Elvio Marchionni

Schlussbemerkung

Die Bedeutung der Orlando-Sammlung von Ulrich Wilke liegt zum einen in der relativ gleichgewichtigen Verteilung über mehrere Jahrhunderte, zum anderen in der Fülle der Illustrationen, auf die der Sammler besonderen Wert gelegt hat. Das Welttheater des Orlando furioso, entworfen von Ariost, in seiner Vielfalt in einer einzigen mehrteiligen Publikation lebendig und vergleichbar gemacht zu haben, indem nun die mehr als 3 000 Illustrationen aus fünf Jahrhunderten nebeneinander betrachtet werden können, ist ein unermesslicher, bewundernswerter Verdienst von Ulrich Wilke. Die Sammlung und die Publikation ermöglichen Vergleiche der Graphiken, wodurch die Vielschichtig­keit der graphischen Kunst vom 16. bis ins 21. Jahrhundert erkennbar wird. Nimmt man die Aeneis-Publikationen der Sammlung hinzu, so erweitert sich der historische Horizont noch einmal um 700 Jahre.

  1. Wilke, Ulrich: Ludovico Ariosto – Orlando Furioso, Buchillustationen, Band I–IV, Neukirchen: Ver­lag make a book, 2015.
  2. Wilke, Ulrich und Suerbaum, Werner: Vergils Aeneis, Gesamtausgabe, Neukirchen: Verlag make a book, 2014, S. 8.
  3. Kristeller, Paul: Kupferstich und Holzschnitt in vier Jahrhunderten, Bremen: Salzwasser-Verlag, 2012, S. 281.
  4. Wilke 2015, Band I, S. 7.
  5. Ebd., S. 205.
  6. Andreoli, Ilaria (Hg.): Exercices furieux. A partir de l’édition de l’Orlando furioso De Franceschi (Ve­nise, 1584), Bern: P. Lang Verlag, 2013, S. 46ff.
  7. Ebd.
  8. Preti, Monica: «‹D’imperfetta vista … occhio acutissimo›. Girolamo Porro padouan et ses illustrations de l’Orlando furioso» in: Andreoli (Hg.) 2013, S. 99ff.
  9. S. a. «Sammlungsüberblick 17. Jahrhundert» am Ende dieses Abschnitts.
  10. Orlando furioso di messer Lodovico Ariosto secondo l’edizione da 1532, per cura di Ottavio Morali, Milano: Giovanni Pirotta, 1818, S. XXI.
  11. Wilke 2015, Band II, S. 44.
  12. Wilke 2015, Band I, S. 301 ff.
  13. Bellocchi, Ugo und Fava, Bruno: L’interpretazione grafica dell’Orlando furioso, Reggio Emilia: Ban­ca di Credito Popolare e Cooperativo, 1961.
  14. S. a. «Sammlungsüberblick 18. Jahrhundert» am Ende dieses Abschnitts.
  15. Wilke 2015, Band II, S. 84f.
  16. Siehe www.royalacademy.org.uk/art-artists/book/orlando-furioso-di-m-ludovico-ariosto-tomo-i-iv.
  17. Größe Sammler-Band: Seitengröße 29,5 cm × 21,5 cm; Plattenimpressionen 27 cm × 20 cm, die deut­lich fühlbar sind, und Abbildungsgröße 13,5 cm × 9,6 cm.
  18. Wilke 2015, Band II, S. 391f.
  19. S. a. «Sammlungsüberblick 19. Jahrhundert» am Ende dieses Abschnitts.
  20. Wilke 2015, Band III, S.12
  21. Mirna Bonazza kuratierte zusammen mit Arianna Chendi in der Biblioteca Ariostea, Ferrara, anläss­lich des 500. Jahrestags der Veröffentlichung der ersten Ausgabe des Orlando Furioso eine Aus­stellung von Manuskripten und Dokumenten zum Thema (22. April – 21. September 2016).
  22. Brockhaus Conversationslexikon der Gegenwart, 1839.
  23. Bibliographie de France.
  24. Das Verzeichnis der Edizioni Ariostee von Giuseppe Agnelli und Giuseppe Ravegnani, Bologna 1933, beschränkt sich auf tabellarische Übersichten mit kurzen Anmerkungen. (Wilke 2015, Band III, S. 7).
  25. S. a. «Sammlungsüberblick 20./21. Jahrhundert» am Ende dieses Abschnitts.
  26. http://hesse-auktionen.de/502-erich-klossowski-julius-meier-graefe-orlando-und-angelica/.
  27. Fabrizio Bondi: «Ludovico Ariosto, Orlando furioso, Milano: Labor, 1945», Arabeschi 11, http://www.arabeschi.it/1_bondi_galizzi/.
  28. Ebd.
  29. A. R. Ferrarin: La Leggenda di Orlando, illustrata da Gustavino, Torino: UTET 41945.
  30. «Dal Dottor Oss alla Stef passando per l’Orlando furioso. Intervista a Grazia Nidasio», Arabeschi 3 (2014), S. 84–88, https://www.academia.edu/31966105/Arabeschi_n._3_gennaio-giugno_2014.
  31. Fabrizio Bondi: «Paul e Gaëtan Brizzi, L’Orlando furioso. Le illustrazioni de Paul e Gaëtan Brizzi dell’opera dell’Ariosto, Firenze: Pagliai Polistampa 2005», Arabeschi 11 (2005), http://www.arabeschi.it/8_bondi_brizzi/.