Ästhetischer Genuß

• Georg Maag •


PID: https://hdl.handle.net/21.11108/0000-0007-EAA6-6

Aperçus gegenüber darf man den Zerstreuten spielen. Gott, es wird ja speziell heutzutage unglaublich viel Geistreiches gesagt.
Robert Walser

Nichts dauret ohn genuß
Angelus Silesius

Das Deutsche Wörterbuch der Brüder Grimm attestiert dem Wort Genuß «eine ziemlich merkwürdige geschichte, die es hochd. eigentlich als recht jung zeigt, geniesz m. (s. dort) hatte lange seine stelle inne, das bis ins 18. jahrh. von den wörterbüchern theilweis bevorzugt wird. a) noch im 17. jahrh. kennen es die hauptsächlichsten wbb. nicht»1. Der Übergang von der älteren Bedeutung ‹Nutznießung› zur mittlerweile gängigen bahnt sich im achtzehnten Jahrhundert an:

im jetzigen begriff fällt das hauptgewicht auf die lust, die den genusz begleitet und freilich von jeher darin eingeschlossen ist, aber nicht als hauptmerkmal (s. Genieszen 6); [...] noch bei Frisch 2, 19a ist es nur commodum, quaestus, utilitas, während bei genieszen (6, a) schon im 17. jahrh. ausdrücklich mit von lust die rede ist. der begriff der lust erscheint dabei in einer bewegung aufwärts, vom sinnlichsten ausgehend dem hohen und reinen zu, ja mit umschlagen in sein gegentheil, ein wichtiges stück aus der geistes- und
lebensentwickelung des vorigen jahrhunderts.2

Schrittweise erweitert sich entsprechend das Bedeutungsspektrum, zum ‹Sinnengenuß› gesellen sich der ‹Genuß im Empfinden›, der ‹Lebens-› und ‹Geistesgenuß›, der ‹Kunst-›, ‹Natur-› und ‹Gottesgenuß›. Wichtig erscheint bei diesem semantischen Wandel, daß etwas, das im Begriff bereits enthalten war, nunmehr dominant gesetzt wird: eben das Moment der Lust, die sich aus dem Nutzen einer Sache oder der Teilhabe daran beziehen läßt.

Genußverprechen, gekoppelt mit raffiniertesten ästhetischen Inszenierungen, sind heute in der Werbung allgegenwärtig und von ihr nicht hinwegzudenken. Selbst der Büchermarkt unterwirft sich dem Zwang, für diverse seiner Produkte mit der Auszeichnung ‹Lesegenuß› zu locken, während die ästhetische Theorie seit einiger Zeit das Thema des ‹Genießens› eher schamhaft umgeht.

Der Begriff des ästhetischen Genusses bildet sich praktisch unausgesprochen in einer Auseinandersetzung heraus, die dem scheinbar paradoxen Phänomen des Vergnügens an tragischen Gegenständen gilt, mithin in einer Zeit, da das Wort ‹Genuß› selbst noch mit Bedeutungen behaftet ist, die inzwischen längst ihre Selbstverständlichkeit eingebüßt haben. Das gestaltet den Versuch einer Geschichte des ästhetischen Genusses komplexer, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Natürlich drängt sich als erstes das Beispiel des Vergnügens an tragischen Gegenständen auf, will man der Spezifität des ästhetischen Genusses auf den Grund kommen. Dieser läßt sich indes mitnichten auf das Genre des Tragischen reduzieren, das lediglich ein Segment neben anderen darstellt. Zugleich treten mit ‹Vergnügen›, ‹Lust›, ‹Gefallen› und dergleichen Begriffe in Erscheinung, die auf eine eigene Tradition zurückzublicken vermögen und daher auch eine eigene Geschichte erfordern. In dem von alters her erhobenen Postulat der delectatio etwa erscheint nicht impliziert, was in der besonderen Benennung eines ästhetischen Rezeptionsvorgangs als ‹Genuß› steckt. Gegen den verflachenden Gebrauch von ‹Genuß› holt die Theorie zu dessen Nobilitierung versuchsweise ursprüngliche Bedeutungen zurück. ‹Lust› ist ihrerseits völlig zeitabhängig schwankenden Bewertungen ausgesetzt, die sich im Interesse am Genuß, den ästhetischen eingeschlossen, markant niederschlagen.

Allem Anschein nach setzt das Bewußtsein für die Inkommensurabilität des ästhetischen Genusses da ein, wo die denkbar größte Spannweite zwischen realer Erfahrung und imaginärer Vermittlung die Frage aufwirft: Wie kommt es, daß das Medium des Ästhetischen etwas Tragisches, Entsetzliches, Schauriges – trotz allem – genießbar macht?3 Hier entsteht als allererstes eine akute Begründungsnot, die die genuinen Eigenschaften des ästhetischen Genusses ins Blickfeld rückt, wohingegen das Schöne als solches bei allen Divergenzen in der Auffassung desselben einer ausdrücklichen Legitimation in geringerem Maße bedarf.

Von einer anderen Richtung als jener der Ästhetik herkommend, trifft Paolo Mantegazza in seiner erstmals 1854 erschienenen und vielfach wiederaufgelegten Fisiologia del piacere4 die kategorische Unterscheidung zwischen Sinnes-, Gefühls- und Verstandesgenüssen. Obwohl er dem ästhetischen Genuß keinen gesonderten Platz einräumt und ihn nicht weiter als eine Aneignungsform sui generis in Betracht zieht, erweisen sich die von ihm beschriebenen Genußerfahrungen häufig als ästhetisch strukturiert oder zumindest mit einer ästhetischen Potentialität ausgestattet. Der musikalische Genuß als unbezweifelbar ästhetischer, der für ihn im Paradigma der Oper5 gipfelt, rangiert in seiner Präsentation neben durchweg alltäglichen Lustempfindungen, wie sie unter bestimmten situativen Vorgaben von Berührungen, Bewegungen oder etwa – um zum Bereich des Akustischen zurückzukehren – einem «Glockenton, der sich in der Luft verliert»6, ausgehen können. Er rangiert bei aller Würdigung insgesamt jedoch nicht an oberster Stelle. Dabei ist es gerade zuvörderst die Musik, die Mantegazza mit Kriterien für die Qualifizierung von Genüssen beliefert, was sich prägnant anläßlich seiner Erörterung des Geschmacksinns zu erkennen gibt:

In der That kann man beim Geschmacksgenusse von Harmonie und Melodie sprechen. Alle Tast- und Geschmacks-Empfindungen, welche ein und derselbe Bissen an den verschiedenen Punkten des Mundes erzeugt, verbinden sich untereinander in wunderbarem Zusammenklang und schaffen die Harmonie; während die letzte entschwindende Empfindung durch Vereinigung mit der ihr nachfolgenden eine Melodie bildet. [...] Auf die Harmonie der Geschmäcke gründet sich der elementare Theil der Gastronomie, welcher im Zubereiten und Würzen der Speisen besteht; auf die Melodie der Geschmacksgenüsse dagegen stützt sich der erhabenste Theil dieser Wissenschaft, welcher von der Aufeinanderfolge der Speisen und den verschiedenen Combinationen der Weine handelt. Ein Diner ist ein Harmonie- und Melodie-Concert des Geschmackes.

Häufig sind es – Mantegazzas luzider Analyse zufolge – im übrigen nicht die Empfindungen «an und für sich», die den Genuß hervorrufen, sondern durch sie generierte oder mit ihnen assoziierte Bilder.7 Existieren im einzelnen «weder Meter noch Kubus, um die Grade des Genusses zu messen»8, so zeichnet sich im allgemeinen doch deutlich eine Wertehierarchie ab, die von den einfachen zu den komplexen, von den sinnlichen zu den die Beteiligung des Verstandes erfordernden Genüssen fortschreitet. Auch unter dieser Perspektive spielt der ästhetische Genuß, bestenfalls der cognitio sensitiva zuordenbar, für Mantegazza eine relativ moderate Rolle. Innerhalb seiner Physiognomik der Sinne kommt es selbst wiederum zu Abstufungen: die optische Wahrnehmung steht über der akustischen, diese ihrerseits über der haptischen.

Die sich unmittelbar anschließende Erörterung der «Genüsse des Gefühls» scheidet für eine Begriffsgeschichte des ästhetischen Genusses als nicht einschlägig genug aus, obgleich sie – etwa im Fall der religiösen Erfahrung – durchaus interessante Gesichtspunkte birgt, vor allem aber auch Zeugnis von der sonst kaum in dieser Weise bedachten Extensität der Genüsse ablegt. Die Mantegazzas Beschreibungen implicite zugrundeliegende Ästhetik auf einen Punkt zu bringen, fällt nicht leicht: Huldigt sie zum einen der platonischen Triade des Schönen, Guten und Wahren, so hebt sie zum anderen die Grenzen zwischen alltäglicher Lebenswelt und der Sphäre der Kunst tendenziell auf. Ohne Zweifel ebnet Mantegazza den Weg für ein profunderes Verständnis des Genusses, dessen Facetten er von allen möglichen Seiten her zu beleuchten trachtet, und er gelangt hierbei zu bemerkenswerten Einsichten wie: «Wenn das Leben in seiner Allgemeinheit vom Laufe der Jahrhunderte modificiert wird, so muß auch der Genuß, der ein Moment desselben bildet, in den verschiedenen Zeiten verschieden sein.»9 Er bedenkt den Genuß nicht nur hinsichtlich seiner Qualität, sondern auch seiner erstaunlichen Varietät und Relativität: «Der Mensch trachtet mit der größten Leidenschaft nach dem Genusse; er sieht ihn in der Arbeit und in der Ruhe, im Wissen und im Nicht-Wissen, im Himmel und auf der Erde.»10 Sozialität trägt überdies zu einer Potenzierung des Genusses bei: «während vorher in uns nur der individuelle Mensch genoß, genießt jetzt der sociale, d.h. der ganze Mensch. Dieses ist die allgemeine Formel, welche das Geheimniß der getheilten Gefühle darstellt.»11 Mantegazzas Studie mündet in den Versuch einer Synthese, die eine «Kunst des Genusses» zum Postulat erhebt («während das Menschengeschlecht, – von Adam bis zu uns, – mit allen Kräften arbeitet und schwitzt, um die Zahl und Feinheit der Genüsse zu steigern, besitzen wir nicht einmal ein Wort, um die ‹Kunst des Genusses› auszudrücken»12), welche im das Werk abschließenden Entwurf der Grundzüge der Edonologie oder der Wissenschaft vom Genusse sich nurmehr in der Ausdrucksgestalt von Aphorismen adäquat zu artikulieren vermag. So manche von ihnen verdienen ungebrochene Aufmerksamkeit. Zur exemplarischen Veranschaulichung seien angeführt: «Der Genuß ist […] das Produkt einer intellektuellen Analyse»13, «Es giebt nicht zwei gleiche Genüsse»14, «Der Genuß nimmt fast immer zu, wenn er sich in Worte kleidet und in dem Spiegel des Bewußtseins anderer Personen reflectirt»15 und zuguterletzt «Die Moral ist die dem Wohle Aller richtig angepaßte Kunst des Genusses»16.

Seit Adorno lastet (trotz der Einschränkung, wozu ein Kunstwerk sonst da wäre, bei welcher folgerichtig H. R. Jauß' Apologie17 einsetzt) auf dem ästhetischen Genuß der Vorwurf des Kulinarischen. In der Rede vom ‹Verschlingen› eines Buches oder dem als kurzlebig vorgestellten ‹Konsumieren› von Kunst und Kultur scheint dieser seine Bestätigung zu finden – wobei sich die Bezeichnung ‹Konsumliteratur› merkwürdigerweise stärker eingebürgert hat als die für ihr entsprechendes Gegenstück, die Konsummalerei, während der ‹Bilderkonsum› in der Gegenwartskritik unangefochten die Rolle eines basso continuo spielt.

Suggeriert ‹verschlingen› – bei allem Ausdruck des daraus resultierenden Sättigungseffekts – Schnelligkeit und Flüchtigkeit, so wie ‹konsumieren› seinerseits Oberflächlichkeit und Kurzlebigkeit, so trifft das auf den Genuß als solchen, den ästhetischen inbegriffen, allerdings keineswegs zu. Deshalb gilt es, zunächst das verlangsamende Moment echten Genusses hervorzuheben. Er bremst die Tendenz zur fortschreitenden Akzeleration, die das Signum der Moderne ausmacht, mit dezidiertem Gestus ab. Genuß ist ein Medium der Entschleunigung, eine Art Insel inmitten des reißenden Stroms, der die Alltagswelt durchzieht. Mit anderen Worten: er stemmt sich gegen ein zu rasantes Tempo, besitzt etwas Widerständiges. Und wenn er an sich auch der raschen Vergänglichkeit anheimgegeben ist, bleibt doch die Erinnerung bestehen, von der sich noch lange ‹zehren› läßt.

Daß ästhetischer Genuß und Kulinarisches eine enge Verbindung miteinander eingehen, mag kaum verwundern. Nicht umsonst avanciert der Geschmack gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts – in Kants Kritik der Urteilskraft – zu einem zentralen Kriterium. Darüber hinaus wohnt dem Kulinarischen selbst eine ästhetische Dimension inne, die umso mehr ins Licht gerückt zu werden verdient, als sich ihre Entfaltung in manchen Fällen bis hin zu einem Akt der Überschreitung steigern kann. Das Ganze hängt fraglos mit einer Überwindung des «Naturalismus des Essens»18 zusammen, die sich für Georg Simmel bereits in der Form der gemeinsamen Mahlzeit manifestiert. Eine weitere entscheidende Komponente kommt durch Inszenierung und Theatralisierung hinzu. Alexandre Balthazar Laurent Grimod de la Reynière, der 1803 mit seinem Almanach des Gourmands die Gastrokritik begründet19, ist auserlesener Feinschmecker und leidenschaftlicher Theaterkritiker zugleich – und im übrigen, von seinem Werdegang als Advokat her, ein ungemein brillanter Rhetoriker. In der Deutung, die seine exzentrische Figur durch Lea Singers Roman erfahren hat, finden sich beide hier angeführten Aspekte: das Postulat der Langsamkeit des Genusses und das Performative der Kulinarik, anschaulich reflektiert. So mündet das Nachsinnen über die blutigen Ereignisse der Französischen Revolution, denen Grimod durch den Rückzug in eine ferne ländliche Idylle zu entweichen trachtet, und die sprunghaften Veränderungen der Moral, in deren Namen Hinrichtung auf Hinrichtung erfolgt, zur Feststellung: «Moralisten lassen sich keine Zeit. Menschen mit Geschmack dagegen immer. Denn Genuß macht langsam.»20 Und an anderer Stelle erklärt der Protagonist sein «Doppelleben als Kritiker und Festveranstalter» mit den Worten

«Die Küche und das Theater […] sind einander ähnlichwie Zwillinge. Das Speisezimmer ist ein Theater, die Tafel ist die Bühne. Das Silber, die Gläser, das Porzellan sind die Requisiten. Und die Küche ist die Maschinerie.» […] Verwandlung: das ist die höchste Kunst für Grimod.21

Tatsächlich schreibt sich Grimod de la Reynière mit seinen spektakulären – zum Teil skurrilen und makabren – Inszenierungen von Gastmählern (seinen, modisch ausgedrückt, «Motto-Partys»22) einem größeren Zusammenhang ein, der von der Suche nach dem vollendeten Genuß auf dem Weg einer Herausforderung der Natur geprägt ist.

Im gleichen Jahr 1783, in dem Grimod de la Reynière sein legendäres Souper veranstaltet, bei dem die Speisen auf Totenbahren aufgetragen werden23, und er damit beim Pariser Publikum einen Skandal lostritt, erscheinen auch die – im Vergleich zu den gastrosophischen Schriften aus seiner Feder – nur sehr wenig rezipierten Réflexions philosophiques sur le plaisir, die von manchen allerdings Étienne François de Lantier zugeschrieben werden. Ihr Inhalt erfüllt die Erwartungen, die der vielversprechende Titel zunächst weckt, indes nicht. Es handelt sich vielmehr um ein geistreiches, kritisches Sittentableau, bei dem der Autor sich strikt vom «faux Plaisir, & tels sont en géneral tous ceux des sens» distanziert und gegenläufig dazu ein plaisir de la vertu zelebriert, «qui est le véritable & le seul qui mérite ce nom»24. Weder lassen sich Grimods Réflexions philosophiques auf eine analytische Vorgehensweise25 ein noch bringen sie seine Praxis des Sinnentheaters auf den Begriff, da diese nicht zu ihren Gegenständen gehört. Was sich in Grimods Darbietungen vollzieht, bringt später stattdessen Niklaus Largier auf den Punkt, der das Geflecht zwischen Askese und Begehren sowie im Zusammenhang damit die Tradition einer «Applikation» und «rhetorischen Zurichtung» der Sinne in den Mittelpunkt rückt, in der – als eines von vielen Beispielen – die

Kunst der Küche zu dem wird, was sie immer schon ist. Nicht einfach Zubereitung täglicher Nahrung, sondern Transfiguration des Natürlichen ins Artefakt, das die Sinne und die Imagination zu bewegen und zu absorbieren, also im stimulierten Begehren über die Natur hinaus zu führen vermag.26

Kulinarischer Genuß, so gilt es demnach festzuhalten,

«verdankt sich, auch wenn [seine Inszenierung] auf die kostbarsten Produkte der Natur zurück greift, nicht dieser selbst, sondern der Zurichtung, die erst die sinnliche Qualität zur Erscheinung bringt und zum Genuß werden läßt».27

Am Ende des Kapitels über Delikatessen kommt Largier auf das von Grimod de la Reynière ausgesonnene Gastmahl zu sprechen,

in dessen Zentrum sein angeblicher Tod stand […]. Die Szene, die auch Marco Ferreris Film La grande bouffe inspiriert haben mag und die alle dekadenten Schriftsteller faszinierte, verkörpert nicht nur die Verbindung von Nahrung und Tod, sondern vor allem die Vergänglichkeit des intensiven Genusses, die alle, auch die kulinarische Applikation der Sinne begleitet. Sie verleiht ihr damit einen besonderen Status, ist doch die rhetorische Anwendung der Sinne immer Affirmation der Zeitlichkeit menschlichen Daseins.28

  1. Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, «GENUSZ», Bd. 5.
  2. Ebd.
  3. Siehe hierzu u. a. Alberto Martino, Die Dramaturgie der Aufklärung (1730–1780), Bd. 1, Tübingen 1972, Kap. III: Theorien der tragischen Lust, S. 146–185; Carsten Zelle, «Über den Grund des Vergnügens an schrecklichen Gegegenständen in der Ästhetik des achtzehnten Jahrhunderts (mit einem bibliographischen Anhang)», in: Peter Gendolla / Carsten Zelle (Hrsgg.), Schönheit und Schrecken, Entsetzen, Gewalt und Tod in alten und neuen Medien, Heidelberg 1990, S. 55–91; Bernd Seidensticker, Über das Vergnügen an tragischen Gegenständen. Studien zum antiken Drama, hrsg. von Jens Holzhausen, München / Berlin 2005.
  4. Paolo Mantegazza, Fisiologia del piacere, Mailand 1854; hier zitiert nach der deutschen Ausgabe: Physiologie des Genusses, autorisierte Übersetzung aus dem Italienischen nach der 9. Auflage, Styrum und Leipzig ^2^1888. Zur Bedeutung Mantegazzas, dem sich u. a. die Gründung des Museo Antropologico-Etnografico 1869 in Florenz verdankt, siehe auch das Literaturverzeichnis bei Monika Antes, Die Vermessung der Liebe. Paolo Mantegazza (1831–1910) und seine bahnbrechenden Entdeckungen, Würzburg 2012. Im Italienischen korrespondiert ‹Genuß›, genau genommen, ein anderes Wort als ‹piacere›. Dessen Übertragung ins Deutsche als ‹Genuß› stellt ein bemerkenswertes Indiz dar.
  5. «Die Oper bietet die höchsten musikalischen Genüsse; sie ist ein wahres Fest des Gehörsinnes. Hier findet sich der einfache musikalische Gedanke gleichzeitig in die Sprachen der verschiedenen Instrumente (an deren Spitze der menschliche Kehlkopf steht) übertragen, die dann vereinigt ein Chaos von Harmonien und Melodien bilden. […] In der Oper werden uns im Laufe weniger Stunden alle Genüsse der Musik geboten» (ebd., S. 108).
  6. Ebd., S. 103. Tatsächlich ist an manchen Stellen ein Nachhall von Leopardis Poetik auszumachen. So gilt für manche Geräusche beispielsweise: «Das Säuseln des Laubes und das Plätschern des Sees auf dem Sande des Ufers erwecken in uns eine sanfte Melancholie oder unaussprechliches Sehnen» (ebd., S. 104).
  7. Vgl. ebd., S. 89 und S. 104: «Der Sinn dient hier nur als Werkzeug und der Genuß wird fast ausschließlich vom Gefühl oder vom Verstande empfunden».
  8. Ebd., S. 86.
  9. Ebd., S. 454.
  10. Ebd., S. 455.
  11. Ebd., S. 433: «Der Genuß findet, indem er durch alle physischen und moralischen Wege zum Ausdruck zu gelangen sucht, in dem sozialen Gefühl eine der natürlichsten Freuden, mittelst deren er die ganze in ihm verborgene Lebensfülle ergießen kann» (ebd.).
  12. Ebd., S. 456.
  13. Ebd., S. 478.
  14. Ebd., S. 482.
  15. Ebd., S. 484.
  16. Ebd., S. 485.
  17. Hans Robert Jauß, Kleine Apologie der ästhetischen Erfahrung, Konstanz 1972.
  18. Georg Simmel: «Soziologie der Mahlzeit», in: Der Zeitgeist, Beiblatt zum Berliner Tageblatt Nr. 41 vom 10 Oktober 1910 (= Festnummer zum hundertjährigen Jubiläum der Berliner Universität), S. 1-2
  19. Hierzu Giles MacDonogh, A Palate in Revolution: Grimod de la Reynière and the Almanach Des Gourmands, London 1987; Jean Haechler, Balthazar Grimod de la Reynière: Un gastronome à la table des lumières, Paris 2016.
  20. Lea Singer, Die Zunge, Stuttgart 2000, S. 253.
  21. Ebd., S. 288f.
  22. So Theodor Kissel in einer Würdigung mit dem Titel «Grimod de la Reynière. Der Gourmet der ersten Stunde», erschienen am 22.12.2017 in Spektrum.de: [https://www.spektrum.de/news/der-gourmet-der-ersten-stunde/1528467](https://www.spektrum.de/news/der-gourmet-der-ersten-stunde/1528467) (letzter Zugriff am 07.09.20).
  23. Lea Singer versucht die Atmosphäre des von Grimod de la Reynière erzeugten Wahrnehmungsraums u. a. so einzufangen: «Die große ovale Tafel ist mit schwarzem Damast gedeckt. In ihrer Mitte dräut als Tischaufsatz der Katafalk in Erwartung eines Sarges, verhängt mit einer schwarzen Draperie, bestickt mit silbernen Tränen. Schwarze Schleier verhüllen Gemälde, Skulpturen und Porzellanvasen, schwarze schwere Wollstoffbahnen vor den Fenstern schirmen das Außen ab […]. Die drei Lüster an der Decke sind mit schwarzen Kerzen besetzt. » (Ebd., S. 143)
  24. Alexandre-Balthazar-Laurent Grimod de la Reynière, Réflexions philosophiques sur le plaisir, Éd. 1784 [Hachette Livre/BnF), S. 18.
  25. Für beide Spielarten des plaisir gilt: «Le plaisir est une sensation que l'on éprouve, mais que l'on ne définit pas. Comme une vapeur légère, il s'envole dès qu'on veut l'analyser» (ebd., S.17).
  26. Niklaus Largier, Die Kunst des Begehrens. Dekadenz, Sinnlichkeit und Askese, München 2007, S. 86. Auf das vollständige thematische Spektrum von Largiers Ausführungen kann hier nicht eingegangen werden.
  27. Ebd., S. 89.
  28. Ebd., S. 91. Besagtes Gastmahl fand nicht, wie bei Largier zu lesen, 1783, sondern 1818 statt.