Daniela Marcheschi, Francesca Savoia (a cura di): Giuseppe Baretti a trecento anni dalla sua nascita
Pisa: Edizioni ETS 2020, 328 pp., Euro 30,00
ISBN: 978-884675911-5

· Franz Meier ·


PID: http://hdl.handle.net/21.11108/0000-0007-F455-6

Anlässlich des dreihundertsten Geburtstages von Giuseppe Baretti (1719–1789) legten Daniela Marcheschi und Francesca Savoia 2020 einen Sammelband mit dem Titel Giuseppe Baretti a trecento anni dalla sua nascita vor. Konzipiert als Akten des Convegno Internazionale di Studi per il Tricentenario della Nascita di Giuseppe Baretti, der vom 3. bis 4. März 2019 in Seravezza stattfand, umfasst der Sammelband Einzelbeiträge von 15 Autorinnen und Autoren, die aus unterschiedlichen Disziplinen stammen und «che compiono da tempo indagini importanti su Baretti» (7). Der Sammelband gliedert sich in zwei einleitende Texte der beiden Herausgeberinnen, zwei thematische Hauptteile sowie einen Anhang und eine von Francesca Savoia zusammengestellte Forschungsbibliographie (301–309).

Als Präsidentin des nationalen Komitees für die Feierlichkeiten des dreihundertsten Geburtstages von Giuseppe Baretti würdigt Daniela Marcheschi im ersten einleitenden Text («Introduzione. Perché Giuseppe Baretti: le ragioni del Comitato Nazionale», 7–18) Baretti als einen innovativ wirkenden Intellektuellen, der wegen seines ironischen, humoristischen und experimentellen Schreibstils als einer der ersten italienischen Vertreter eines modernen, am Leserinteresse orientierten Kulturjournalismus zu betrachten sei. Ferner bestehe Barettis Originalität in seinem Wirken als Mediator zwischen verschiedenen Sprachen und Kulturen, der bedingt durch seine Aufenthalte in London (1751–1760 sowie 1766–1789) in seinem Werk angelsächsische und italienische Diskurstraditionen vereine und so über den Kontext der Aufklärung und Frühromantik hinausweise. Francesca Savoia führt in ihrem einleitenden Text («Prolusione. Giuseppe Baretti a trecento anni dalla sua nascita», 19–32) einige Forschungsdesiderata an, die auch zukünftig eine intensive wissenschaftliche Beschäftigung mit Barettis Lebenswerk rechtfertigen. Dazu zählt sie eine transdisziplinäre und internationale Untersuchung des bisher nur fragmentarisch ausgewerteten Briefwechsels Barettis, seine Tätigkeit als Lehrer für italienische Sprache, Literatur und Kultur in England sowie seine Verwendung von phantastischen, fabelähnlichen Dialogen als didaktisches Hilfsmittel des Sprach- und Kulturunterrichts in der Easy Phraseology.

Den ersten thematischen Hauptteil («La lezione di Giuseppe Baretti», 33–132) leitet der Aufsatz von William Spaggiari («Baretti, Leopardi e i polemisti romantici», 35–47) ein, in dem der Autor das große Interesse Leopardis an Barettis literarischem Lebenswerk dokumentiert und mögliche Einflüsse Barettis auf Leopardis literarisches Handeln diskutiert. Der Artikel schließt mit einer Darstellung der umfassenden und teils kontroversen Rezeption von Barettis Werk durch andere Schriftsteller der Romantik wie Pietro Borsieri oder Ludovico di Breme. Franco Arato thematisiert in seinem Beitrag («Baretti alla sbarra. Uno scrittore italiano davanti a una corte inglese», 49–62) die sogenannte «Haymarket Affair», bei der sich Baretti im Oktober 1769 in London wegen des vermeintlichen Mordes an Evan Morgan, einem Landstreicher bzw. Zuhälter, den er im Londoner Haymarket bei einer Straßenschlägerei mit drei Messerstrichen tödlich verletzt, vor Gericht verantworten muss. Arato beschreibt anhand der Sitzungsprotokolle die erfolgreiche Verteidigung Barettis, die er ohne Anwalt bestreitet, bei der er sich aber auf Zeugenaussagen einflussreicher Freunde stützen kann. Bartolo Anglani konzentriert sich in seinem Artikel («Baretti tra antifemminismo e anti-sentimentalismo: dalle Strictures a The Sentimental Mother», 63–81) auf die literarisch-satirische Darstellung Barettis von Ester Thrale, einer englischen Schriftstellerin, die nach dem Tod ihres Mannes den jüngeren und mittellosen italienischen Musiklehrer Gabriele Mario Piozzi heiratet. Anglani rückt in seinem Beitrag die oft unbeachtete Komödie The Sentimental Mother in den Mittelpunkt, in der sich Baretti der Figur der Ester Thrale bediene, um zeitgenössische gesellschaftspolitische Realitäten polemisch aufzugreifen und spezifisch die Londoner Stadtgesellschaft zu persiflieren, die mit dem Schleier des Sentimentalismus Zynismus, Heuchelei, Korruption und Scharlatanerie verdecke. Ursula Reuter-Mayring untersucht in ihrem Aufsatz («‹Uno straniero che va errando per quelle compassionevoli rovine›. Le impressioni di Lisbona cinque anni dopo il terremoto raccontate da Baretti. Una lettura nel contesto di un topos europeo», 83–99) Barettis schriftliche Zeugnisse seines Besuchs 1760 in dem vom Erdbeben noch immer zerstörten Lissabon. Reuter-Mayring zeigt, dass Baretti sich nicht an der philosophischen Diskussion um den Topos von Lissabon beteiligte und stattdessen eine Beschreibung der Lebensrealitäten in der Stadt vorlegt. Ausgehend von seinen Erfahrungen und Beobachtungen baue Baretti viele konkrete Informationen in seine Beschreibungen ein und entspreche damit dem zeitgenössischen Geschmack nach Authentizität und einer besonders in der angelsächsischen Poetik vertretenen Forderung nach einer sentimentalen Ästhetik, die sich für das Individuum und sein inneres Empfinden interessiere. Corrado Viola nimmt in seinem Aufsatz («Baretti inglese. In margine (e dentro) a The Italian Library», 101–131) zunächst die Entstehungsgeschichte und den Aufbau von Barettis Italian Library in den Blick und benennt Übereinstimmungen und Abweichungen mit anderen, bereits existierenden bibliographischen Kompendien zur italienischen Kultur – spezifisch mit Fontaninis Biblioteca dell’eloquenza italiana, an der sich Barretti bei der Komposition seiner Library maßgeblich orientiere. Viola stellt in der Italian Liberary ferner einige für Baretti typische Merkmale fest, etwa das Einbauen von persönlichen Wertungen zu einzelnen italienischen Autoren, den Rückgriff auf Anekdoten, eine anti-französische Einstellung, die sich spezifisch auch gegen Voltaire richte, sowie die besondere Hervorhebung von italienischen Autoren, die dem römischen Kirchenstaat kritisch gegenüberstehen.

Ausgangspunkt des zweiten thematischen Hauptteils («Giuseppe Baretti: uno sguardo multidisciplinare», 133–266) ist der Aufsatz von Guido Conti («Giuseppe Baretti scrittore. Prosa e stile di uno scrittore ‹contemporaneo›», 135–154), in dem der Autor anhand von Textbelegen aus der Frusta letteraria und den Lettere familiari verschiedenste stilistische Auffälligkeiten in der Rhetorik Barettis darstellt. Conti argumentiert, dass Baretti mittels seines satirischen und humoristischen Stils eine für das 18. Jh. ungewöhnliche Schreibweise entwickle, die in den nachfolgenden Jahrhunderten von einzelnen Autoren, wie Giovanni Papini oder Cesare Zavattini, nachempfunden werde. Gandolfo Cascio zeigt in seinem Beitrag («Fuori di casa: Baretti critico di Dante e Michelangelo», 155–167), wie Baretti – entgegen seiner eigentlich kritischen Haltung gegenüber Dante – dessen Darstellung als «emblema imbattibile di virilità» (159) nutze, um dem französischen Vorurteil entgegenzuwirken, dass das Italienische eine Sprache «esageratamente femminile» (157) darstelle, die dem Französischen kulturell unterlegen sei. Michelangelos poetisch-philosophische Schriften hingegen würden dem englischen Italienischlerner als eine geeignete Lektüre für den autonomen Sprachunterricht präsentiert, wobei Barettis Rezeption von Michelangelo zumindest auffallend bis provokant sei und mit jener kontrastiere, die im zeitgenössischen Italien existiere. Giusi Baldissone thematisiert in seinem Aufsatz («Giuseppe Baretti e l’uso critico dell’onomastica», 169–184) die Verwendung von Namen, die Baretti selbst annimmt, etwa das Herausgeberpseudonym Aristarco Scannabue, oder die der Autor seinen literarischen Figuren verleiht. Baldissone zeigt, dass Barettis kritisches Urteil über Personen auf der Zuschreibung von abschätzigen oder parodierenden Namen basiere, die Baretti oft aus realen Namen ableite und die er mit ausdrucksstarker Satire in seine Schriften einführe. Massimo Prada gibt in seinem Beitrag («‹Lascia scorrere velocemente la penna›. Giuseppe Baretti e la ricerca di una prosa ‹sferzante›», 185–209) einen linguistischen Kommentar zu lexikalischen, morphologischen, syntaktischen und stilistischen Charakteristika der Prosa von Barettis Frusta letteraria. Dabei präsentiert Prada auch linguistisch relevante Aspekte der sprachlich-literarischen Ausbildung Barettis sowie die Grammar of the Italian Language, die einen Einblick in die wichtigsten sprachlichen Referenzmodelle des Autors ermögliche. Ziel von Luísa Marinho Antunes Beitrag («Giuseppe Baretti in viaggio: uno sguardo critico sul Portogallo», 211–256) ist die Analyse von Barettis Beschreibung von Portugal auf Basis der Lettere familiari und der Journey from London to Genoa, die sich laut Autorin besonders wegen der unterschiedlichen Textsortenzugehörigkeit in Bezug auf einzelne Darstellungsaspekte unterscheiden und nur in komplementärer Perspektive ein umfassendes Gesamtbild von Barettis Wahrnehmung lieferten. In beiden Fällen gestalte sich die Beschreibung Portugals als eine physische und emotionale Entdeckungsreise, in die Baretti persönliche, kulturelle, moralische und ästhetische Gedanken einbringe und die, bedingt durch die Darstellung von verschiedensten Landschaften, Menschen und Bräuchen, einen analytischen und vergleichenden Charakter aufweise. Baretti wolle in seiner für ihn typischen Art die Leser durch humoristische Passagen zum Schmunzeln bringen und wende sich zugleich gegen eine auf Stereotypen basierende Darstellung Portugals. Elvio Guagnini untersucht in seinem Aufsatz («Forme e modi del racconto di viaggio. Qualche considerazione a proposito dell’incipit delle Lettere familiari», 257–266) ebenfalls einige spezifische Darstellungsformen des Reiseschriftstellers Baretti, der in der Vorrede der Lettere familiari (A chi vuol leggere) bereits wichtige Informationen über Reiseinhalte vorwegnehme und damit eine Satire enzyklopädischer Reiseerzählungen beabsichtige, bei denen eine vollumfängliche Darstellung der Realität angestrebt werde. Baretti bediene sich hingegen einer subjektivierenden Darstellungsstrategie, die darauf abziele, mögliche Leser mit Ironie zu locken und über die Hervorhebung der Figur des Ichs eine relationale Beziehung zur Leserschaft aufzubauen.

Der Anhang («Guiseppe Baretti in scena», 276–300) gliedert sich zunächst in einen Beitrag von Paolo Puppa («Baretti e il suo metateatro», 269–278), in dem der Charakter und das Werk Barettis, einschließlich der von ihm selbst verfassten Theaterstücke, über eine Vielzahl von vergleichenden Verweisen auf Theaterstücke und Dramaturgen unterschiedlichster Epochen nachgezeichnet werden. Den Abschluss des Anhangs bildet das von Marco Solari verfasste Theaterstück «Un coas di roba. Omaggio a Giuseppe Baretti» (280–300), in dem das Leben, Wesen und Werk Barettis in sieben Akten dramaturgisch aufgearbeitet werden.

Der von Daniela Marcheschi und Francesca Savoia vorgelegte Sammelband zeichnet sich insgesamt durch eine thematische Vielfalt aus, die in gelungener Weise den multiformen Charakter Barettis und die komplexe Variationsbreite seines Lebenswerks abbildet. Der Sammelband liefert eine Vielzahl innovativer Ergebnisse und komplementärer Einblicke, die wichtige Ergänzungen zu bereits bestehenden Forschungen zu Baretti liefern. Das Buch stellt somit ein Muss für all jene dar, die sich für das Settecento, die Rolle von Italiens Sprache, Literatur und Kultur im Europa der Aufklärung und die Entwicklung von innovativen journalistischen Diskurstraditionen interessieren.