Rudj Gorian: Nascosti tra i libri. I periodici antichi della Biblioteca del Seminario patriarcale di Venezia (1607-1800).
Venezia: Marcianum Press, 2017 (Studi di storia culturale e religiosa veneziana, 8), pp. 475, Euro 39,00
ISBN 978-88-6512-551-9

· Birgit Ulmer ·


PID: http://hdl.handle.net/21.11108/0000-0007-DA5B-E

«Versteckt zwischen den Büchern» der Bibliothek des Seminario patriarcale in Venedig hat Rudj Gorian, von 2009 bis 2014 als Bibliothekar für die Bestandspflege dort angestellt, einen umfangreichen Schatz an alten Periodika aufgespürt, den er im vorliegenden Band überaus detailliert und gewissenhaft vorstellt und damit ins Licht des wissenschaftlichen Interesses rückt.
Im Vorwort wird neben dem Ursprung, den Quellen und der Auswahl des Materials auch das Ziel der Studie erläutert: Neben der eigentlichen Bestandsaufnahme, Sichtung und erstmaligen umfassenden Katalogisierung des vorgefundenen Materials sollte mit dem Band eine Grundlage für weitere Forschungsarbeiten geschaffen werden. Diese können von genuin bibliothekarischen, über archivistische, literatur- und kulturwissenschaftliche bis hin zu historischen Fragestellungen reichen – beispielsweise ist auch die Geschichte der Bibliothek selbst bislang noch nicht umfassend dargestellt – und finden in Gorians Studie eine wunderbare Grundlage. Zudem ist zu erwarten, dass sich im Rahmen weiterer Forschungsarbeiten auch zusätzliche Funde ergeben werden, wie der Autor in der Premessa andeutet: «[...] ma non è escluso che in futuro, nel vasto patrimonio di questa importante istituzione culturale ecclesiastica, si potrà appurare la presenza di qualche periodo antico non individuato nel corso della presente ricerca.» (S. 16)

Der rund 470 Seiten umfassende Band gliedert sich anschließend in drei große Teile: Die prima parte ist mit «Storia e gestione della raccolta di periodici» (S. 17 ff.) überschrieben und befasst sich zunächst mit der Herkunft der verschiedenen Periodika, die sich heute in der Sammlung befinden. Auf diesen Seiten werden viele Figuren der venezianischen – aber nicht nur – Kulturgeschichte vorgestellt, etwa Giannantonio Moschini, der nicht nur privat als Sammler auftrat, sondern dem auch eine (erste) systematische Sammlung und Katalogisierung der Bestände der Bibliothek zugeschrieben wird:

Nella ricostruzione della formazione dei fondi della BSPV Giannantonio Moschini è stato sin qui prevalentemente considerato come coordinatore della stessa biblioteca e, quindi, in sostanza, quale responsabile dell'ingresso nella raccolta di buona parte dei periodici antichi che vengono studiati in queste pagine. Moschini, però, fu anche possessore di una biblioteca propria che conteneva alcuni periodici antichi […].
Alla BSPV esistono tre cataloghi manoscritti che sono stati ricondotti a Moschini […]. (S. 53/54)

Gorian führt für jede Persönlichkeit bzw. Familie detailliert auf, welche Zeitschriften und in welcher Form bzw. zu welchem Zweck diese jeweils gesammelt wurden und in welchem Zusammenhang oder unter welchen Umständen sie dann in die Bibliothek gelangt sind. Dabei macht der Autor auch immer wieder deutlich, wie komplex und schwierig der Versuch einer systematischen Erschließung ist, insbesondere da die Bibliothek im entsprechenden Zeitraum nicht der heutigen, modernen Vorstellung einer Bibliothek entspricht, sondern vielmehr ein «grande deposito di libri in movimento» war. Die Prämisse ist daher folgende:

Non si trattava, insomma, di una struttura bibliotecaria in grado di garantire un pieno controllo delle collezioni sin dal loro ingresso in Seminario. In una situazione di questo tipo, gli insiemi librari devono essere stati, forse a più riprese, smembrati, in parte sovrapposti e, probabilmente, spesso anche depauperati, risentendo negativamente di problemi di gestione degli spazi e di ordinamento-catalogazione del materiale. (S. 26)

Ganz besonders gilt diese Problematik für das hier untersuchte – vermeintlich weniger wertvolle oder bewahrenswerte – Material. Anschließend widmet der Autor rund vierzig weitere Seiten des ersten Teils der Verwaltung des Kulturerbes des Seminario von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis ins 20. Jahrhundert, insbesondere im Hinblick auf die Katalogisierung und Bewahrung der fraglichen Periodika. In diesen Abschnitten blitzt nicht nur die Geschichte der Bibliothek ein wenig auf, sondern man erhält auch einen Einblick in frühe Formen des Bibliothekswesen, der Katalogisierung bzw. Systematisierung innerhalb entsprechender Sammlungen.
Die seconda parte ist der Analyse der vorgefundenen Periodika gewidmet, wobei sich die Fragestellungen zwischen einem «studio di fruizione» und einer «storia del giornalismo» bewegen (S. 127 ff.). Einerseits geht es hier also darum, zu welchem Zweck und in welcher Form die gesammelten Zeitschriften(teile) konkret benutzt wurden. Zwischendurch finden sich immer wieder Abbildungen, die das im Text Erläuterte illustrieren und verdeutlichen. Die Bandbreite der Gebrauchsspuren reicht von Wachsflecken und eingelegten Lesezeichen über Korrekturen und Ergänzungen bis hin zu ausführlicheren Anmerkungen und Verweisen. Drei ‹Fälle› greift Gorian gesondert heraus und behandelt sie in eigenen Unterkapiteln. Anschließend betrachtet der Autor in diesem zweiten Teil noch die redaktionelle Praxis der frühen Zeitschriften, für die auch das Thema Zensur eine gewisse Rolle spielte.
Im dritten Teil (S. 259 ff.) schließlich werden einige Vorschläge zur Bewertung und weiteren Auswertung des vorhandenen und hier vorgestellten Materials unterbreitet bzw. erste konkrete Fragestellungen in verschiedene Richtungen formuliert. Dem folgt ein Katalog aller im Seminario bislang aufgespürten Periodika, die in den eingangs abgesteckten Rahmen der vorliegenden Forschungsarbeit fallen, der das vorhandene Material anhand von acht Beschreibungskategorien erfasst: 1 – consistenza e segnatura di collocazione; 2 – periodicità e livello bibliografico dell'edizione; 3 – dati editoriali; 4 – responsabilità redazionale / autoriale; 5 – rapporto tra edizione ed esemplare; 6 – inserti, aggiunte, tavole; 7 – dati aggiuntivi su edizione ed esemplare; 8 – riferimenti bibliografici. Wie akribisch und genau Gorian auch hier – wie im gesamten Band – gearbeitet hat, lässt sich daran erkennen, dass auf den knapp 120 Seiten des Katalogs die 151 Titel (teilweise in mehreren Ausgaben) bis in alle Einzelheiten ausgeleuchtet werden – so etwa wenn für eine einzelne Ausgabe auch noch die geringsten Gebrauchsspuren angeführt werden: «T[omo] 1: note manoscritte sulla controg[guardia] ant[eriore]; t. 3: note a matita rossa sulla guardia post[eriore]; t. 4: note a matita sulla guardia post.; t. 8: calcoli alla guardia ant.» (S. 348, zu Espion (L') Anglois)
Hervorzuheben ist noch der Abstract – Conclusioni (S. 419 ff.), in dem Gorian seine Forschungsmethoden genau erläutert und begründet sowie seine Arbeit und die Ergebnisse zusammenfasst und mit anderen, ähnlich gelagerten Studien vergleicht. Abschließend äußert der Autor den Wunsch, dass seine Studie

sia utile anche come stimolo a portare avanti lavori sistematici su altre collezioni di periodici, condotti tenendo conto di un approccio di indagine critico e che cerchi di osservare i fenomeni sotto molteplici punti di vista (storico-bibliotecari, bibliologici, bibliografici, storico-culturali e biblioteconomici). (S. 429)

Über zwei thematisch weiter unterteilte Indizes – der zweite ausschließlich für die Katalogeinträge – am Ende des Bandes lässt sich die gesamte Studie sehr gut erschließen und für die eingeforderten weiteren Forschungen nutzen. Es sei dem Autor gewünscht, dass seine sorgfältige und überaus kundige Arbeit in der Tat nachhaltig wirkt und als Quelle genutzt wird.