«Verstehende Philologie» als Wissenschaft von der Menschheit. Vico, Auerbach und Ginzburg

• Paul Schäufele •


PID: http://hdl.handle.net/0000-0007-F98F-0

1. Geschichte(n) lesen und schreiben

Unter dem Dach der Philologie finden viele Denker ein Zuhause. Gemeinsam ist ihnen die Sehnsucht nach der Wirklichkeit, die Suche nach dem Leben auf dem Weg der Philologie. Es komme darauf an, «zu begreifen, was Leben ist»,1 vermerkt Nietzsche in den Notizen mit dem Arbeitstitel «Wir Philologen». Sowohl die bereits über eine Institutionengeschichte verfügende Klassische Philologie als auch die junge Deutsche Philologie präsentieren sich im neunzehnten Jahrhundert als Wissenschaften, die über eine philologische Beschäftigung mit der Geschichte ein besseres Verständnis der Lebenswirklichkeit suchen. Doch keiner der Philologen dieser Zeit vermag es, in seinen Ausführungen die daraus resultierenden Fragen anzustoßen: Von welchem Leben, welcher Wirklichkeit oder welcher Geschichte ist die Rede? Die Lakunen des philologischen Grundsatzdiskurses werden mit lebensbejahendem Wirklichkeitspathos zugedeckt.

Angesichts dieser offenen Fragen überrascht es nicht, dass Philologen der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts darangingen, eine Alternative zu dieser Fachgeschichte zu suchen, zumal die Tradition dieser Philologie am Ende des Jahrhunderts, spätestens aber nach dem Großen Krieg radikale Erschütterungen zu verzeichnen hatte. Erich Auerbach erlebte die Ruptur des Ersten Weltkriegs als Soldat. Spätestens danach interessierte ihn eine «Alternativgeschicht[e]»2 in der Philologie als Traditionswissenschaft, wie sie Giambattista Vico anbot. Im Lebenslauf, der seiner Habilitation beiliegt, ist Vico, mit Ausnahme Dantes, der einzige von Auerbach namentlich genannte Forschungsschwerpunkt: «Schon während meiner Studienjahre habe ich mich, teils aus eigener Neigung, teils auf Anregung Troeltschs, viel mit der Philosophie Vicos beschäftigt.»3 Die Beschäftigung mit Vico soll das gesamte Forscherleben Auerbachs nicht abreißen und ihm Impulse geben, eine eigene Alternativgeschichte der Literatur zu entwerfen, die 1947 erstmals erschienene Monographie Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur.

Die Frage, bis zu welchem Grad das Philologische nach Vico das Menschheitsgeschichtliche streift, wird dann brisant, wenn einer der einflussreichsten Historiker jüngerer Zeit die literaturgeschichtlichen Arbeiten Auerbachs als (ein) Modell seiner Form der Geschichtsschreibung versteht. Indem Carlo Ginzburg Strukturelemente seiner Historiographie von Auerbach inspiriert sieht, ergibt sich zwangsläufig die Frage, wie die Familienähnlichkeit zwischen Vico, Auerbach und Ginzburg zu charakterisieren ist. Dabei stehen mehrere Aspekte im Fokus der Diskussion – die gemeinsamen Basis-Begriffe (Geschichte, Menschheit, Philologie), die Art und Weise, wie hier Rezeption vonstatten geht und deren Darstellungsmodus. Kurzum: Wie verlaufen die Linien des im Zeichen der Philologie stehenden intellektuellen Netzwerks zwischen Vico, Auerbach und Ginzburg?

2. Philologia quid? Vicos Transformation der Rhetorik

Zwischen 1699 und 1708 eröffnete Vico, eloquentiae professor regius, das akademische Jahr mit Reden zu einem frei gewählten Thema, das den universalen Anspruch seines Faches spiegelte («usò sempre la pratica di proporre universali argomenti»).4 Die dritte der sechs erhaltenen Reden greift ein bevorzugtes Thema Vicos auf, die Ethik der republikanischen Gelehrten. Die (wohl) 1701 gehaltene Rede «dimostra che nella repubblica letteraria bisogna vivere con giustizia, e si condannano i critici a compiacenza, che esiggono con iniquità i tributi di questo erario […], gl’impostori, che fraudano le loro contribuzioni all’erario delle lettere.»5 Die Metapher des Gelehrten als Schatzmeister ist neu, sie eröffnet Vicos Perspektive des Gelehrtenlebens, das er als eine praktische Aufgabe von öffentlicher Bedeutung versteht. Doch die Aufgabe des Philologen geht über eine Verwaltungstätigkeit hinaus, denn der Philologe ist zwar Verwalter eines Schatzes, doch er soll ihn auch selbst erweitern. Von der archivarischen Liebe zum Wort hat sich Vico damit entfernt. Die dritte Orazione Inaugurale ist der erste Schritt Vicos auf dem Weg zu einer Philologie, die er später Scienza Nuova nennen soll. Vico verbindet seine Forderungen an die Philologen mit einer Kritik an seiner Ansicht nach fehlgegangenen Entwicklungen der Wissenschaft. «Gloriaris, philologe, omnem res vasariam, vestiariam Romanorum nosse […]. In quo superbis? Nihil aliud scis quam figulus, coquus, sutor, viator, praeco Romanus.»6 In direkter Apostrophe geht Vico ‹den› Philologen an, der sich auf reines Sachwissen beschränkt und plädiert für eine Tätigkeit, die sich der wahren Erkenntnis der Dinge («vera rerum cogniti[o]»)7 zuwendet, womit er seiner Polemik gegen eine hohle Gelehrsamkeit, deren dolus und impostura die humanistische Entwicklung des Menschen behindern, einen Gegenentwurf beifügt.

Die praktischen Konsequenzen aus diesen Idealen zieht er wenige Jahre später. Vordergründig eine Abhandlung über die universitäre Ausbildung seiner Zeit, bietet De nostri temporis studiorum ratione von 1708 nun Einblick in die methodischen Prinzipien, die Vico bis zur Scienza Nuova ausdifferenzieren wird, sowie in die Gegenstände, die mit diesen «instrumenta»8 bearbeitet werden können. Eine Motivation dieser dissertatio ist, aus historisch vergleichender Arbeit Kategorien für die Ausbildung junger Menschen zu entwickeln. Gegenübergestellt werden in De ratione antike und moderne Bildungsideale, womit Vico sich auch in der andauernden Querelle des anciens et des modernes positioniert.9 Doch anstatt sich auf Seite einer der beiden Positionen zu stellen, der ‹alten›, humanistischen, die sich für eine Orientierung an antiken Wissensbeständen aussprach, oder der ‹modernen›, rationalistischen, die das naturwissenschaftliche Denken zum dominanten Paradigma erklären will, entwirft Vico ein komplexes Bildungsprogramm, das Argumente beider Parteien integriert. Er ist «da solo un terzo partito».10

Vico fasst die ratio studiorum als «den wiederherzustellenden Zusammenhang aller Wissenschaften und Künste ineins mit dem Weg ihrer Wahrheitssuche».11 Erweitern wird er vor allem den Interessensbereich, der ansonsten durch die Zuschreibungen ‹Rhetorik› oder ‹Philologie› abgedeckt wird. Denn der zeitgenössischen Wissenschaft wirft Vico kritischen Exzess vor; anstatt sich der Realität zu widmen und sich mit den «verosimilia»12 auseinanderzusetzen, streben die nach rationalen Prinzipien arbeitenden critici nach einer extrapolierten Wahrheit, hinter der das wahrscheinlich Richtige zurückstehe: «suum primum collocant verum»,13 was nicht grundsätzlich zu beanstanden sei, doch dürfe man dort nicht stehenbleiben. Gerade die studia humanitatis würden dadurch unzureichend gewürdigt: «Neque ingenia ad artes, quae phantasia, vel memoria, vel utraque valent, ut Pictura, Poëtica, Oratoria, Jurisprudentia quicquam sunt hebetanda […].»14 Vico sucht nach einem anderen Weg wissenschaftlicher Erkenntnis. Zunächst versucht er eine Rehabilitierung der antiken Findekunst, der Topik, um diese der Kritik gegenüberzustellen. Doch beide habe ihre Fehler: «Quare utraque disserendi ratio viciosa, Topicorum, quia saepe falsa arripiunt; Criticorum, quia verisimilia quoque non assumunt.»15 Es komme darauf an, die Vorteile beider Methoden zu vereinen, die Präzision der Kritik mit der Vielgestaltigkeit der Topik. Denn nur eine Wissenschaft, die auch das ingenium in den Erkenntnisprozess miteinbezieht, sei dazu in der Lage, die Wirklichkeit zu erfassen. Ergebnis der Ausbildung sei ein sensus communis, der die Lernenden dazu befähige, die Welt in ihrer Wirklichkeit wahrzunehmen.16

Vico entwirft daher eine Methode wissenschaftlicher Erkenntnis, die sich etwa von derjenigen Descartes’ absetzt. Denn «Geometrica demonstramus, quia facimus: si physica demonstrare possemus, faceremus.»17 More geometrico gelange man nur zu Erkenntnissen über Geometrie, die Physik in ihrer realen Mannigfaltigkeit sperre sich gegen ein Vorgehen, bei der von einem einzelnen Punkt (primum verum) ausgehend linear argumentiert werde. Besser sei es, mit einem durch Topik geschulten Verstand zu versuchen, Analogien unter verstreuten Gegenständen zu entdecken und von dort aus nach Gesetzmäßigkeiten zu suchen. Vico fasst das ins Bild der von zwei Seiten geschliffenen Klinge: «Neque enim tenue idem est, atque acutum: tenue enim una linea, acutum duabus constat.»18 In seinem 1710 erschienenen Traktat De Antiquissima Italorum Sapientia kennzeichnet er so den Schlüsselbegriff des ingenium: «Ingenium facultas est in unum dissita, diversa conjugendi […].»19 Zur Illustration dieses Ansatzes greift Vico auch auf die Medizin zurück. Der Arzt dürfe nicht bei der Beschreibung des Gegebenen, des Symptoms, stehen bleiben, sondern müsse versuchen, Ursachen und Folgen dieses Symptoms zu erkennen. Doch die eigentliche Leistung besteht darin, aus diesen individuellen Fallgeschichten nach stetiger Beobachtung allgemeine Gesetzmäßigkeiten abzuleiten: «et longa observatione […] ex signis de quoquo morbo judicare».20 Die Topik, mit der sich Vico vordergründig in die Tradition der rhetorischen Topik von Aristoteles und Cicero stellt, hat mit der klassischen inventionellen Technik wenig zu tun. Topik ist hier weniger sedes argumentorum als Konzeption einer phantasievollen Betrachtungsweise der Wirklichkeit unter dem Gesichtspunkt wahrscheinlicher Analogien. Die Rhetorik wird entrhetorisiert, zumal sich Vico in seiner Abhandlung keineswegs nur auf textuelle Daten stützt, sondern etwa auch naturwissenschaftliche und rechtsgeschichtliche Fragen miteinbezieht. Damit zeigt sich das immer deutlicher werdende Profil seiner neuen Wissenschaft, die an dieser Stelle noch innerhalb des Paradigmas der klassischen Rhetorik beschrieben wird, sich allerdings schon weit von der klassischen Lehre entfernt hat, die Vico in seinen Institutiones Oratoriae, dem 1711 veröffentlichten Handbuch seiner Rhetorik-Vorlesungen, selbst vermittelt hat.21 Mit De ratione steht Vico anachronistisch in einer «tradition of Italian Humanism that does not separate res from verba»,22 einer anti-rationalistischen Denkweise, die tradierte Objekte nicht daraufhin prüft, inwieweit sich harte Fakten daraus gewinnen lassen, sondern sie in ein universales Programm der Menschenbildung integriert. Vicos Rhetorik hat damit den Umfang, den die Humanisten des dreizehnten Jahrhunderts der Disziplin attribuiert haben, als sie sie mit einem Cicero-Wort «scientia civilis» nannten.

Dass Vico sich damit auf neues Terrain gewagt hat, wird evident in seiner 1720 erschienenen Abhandlung De uno universi Juris Principio, et Fine uno, heute gewöhnlich unter dem Titel Diritto Universale besprochen. Der Traktat bündelt die Forschungsarbeit von zehn Jahren und stellt mit Blick auf die Philologie-Definition Vicos den entscheidenden Schritt von der Rhetorik zur vichianischen Philologie dar.23 Dass damit eine antike Disziplin eine völlig neue Ausrichtung erhält, gibt Vico selbst zu bedenken: «Nova scientia tentatur24 Unter dieser Überschrift stellt er die entscheidende Frage:

Philologia quid? ejus partes duae. Est enim Philologia sermonis studium et cura; quae circa verba versatur, eorumque tradit historiam, dum eorum origines et progressus enarrat, et sic per linguae aetates dispensat, ut eorundem teneat proprietates, translationes, et usus.

Sed cum rerum ideae quibusque verbis appictae sint, ad Philologiam in primis spectat tenere rerum Historiam. Unde Philologi de rebuspublicis, gentium et populorum moribus, legibus, institutis, disciplinis, opificiis pro suo jure commentarios scribunt; rem Lapidariam, Numariamque, et Chronologiam sedulo tractant, unde edunt testimonia antiquitatis graviora: atque haec omnia, quo omnes doctarum linguarum Scriptores sive Oratores, sive Philosophos, sive adeo Historicos, et maxime Poëtas enarrent: a quibus respublica eam sibi maximam capit utilitatem, ut interpretur antiquam linguam religionis, et legum.25

Vico definiert Philologie als Wissenschaft, die sich mit allen Zeichen beschäftigt, die zum Träger von Geschichte werden können, mit der Geschichte der Wörter ebenso wie mit der Geschichte der Dinge. Die Begründung dafür liegt in der Aufhebung der Trennung von res und verba, die Vicos Prägung durch den Platonismus erkennen lässt. Denn da die Worte die hinzugefügte Illustration der Ideen der Dinge seien (appictae sint), die Idee im platonischen Sinn aber verbal nicht zu erreichen ist, sei es Aufgabe des Philologen, sich den Dingen selbst zuzuwenden.

All die Thesen zum Rechtswesen sollen nun im liber alter des Diritto Universale argumentativ gefestigt werden durch eine erkenntnistheoretische und eine historische Abhandlung unter dem Großthema der humana eruditio. «De constantia philosophiae» begründet ein weiteres Mal Vicos christlich-platonische Metaphysik. In «De constantia philologiae» dagegen greift er zunächst die Unterscheidung von verum und certum auf, denen er im ersten Teil des Werks zwei mentale Paradigmen zugeordnet hatte, «certum ab Auctoritate […], verum a Ratione».26 Dem korrespondieren die Expertisen der beiden Fächer, wodurch die Philologie als Wahrerin des certum zur Autoritäts-Wissenschaft wird: «Philosophia firmat Constantiam rationis; tentemus, ut Philologia firmet Constantiam auctoritatis».27 Den Gegenstand der Philologie sieht Vico in der Sicherung und Erforschung der tradierten Realia. Doch zu den Ursprüngen dieser Tradition gelangt er durch Lektüren poetischer Texte, die den Philosophen fremd sind, was er als einen fundamentalen Fehler betrachtet. Ohne die Texte Homers und Ovids seien die antiken Rechtstexte nicht zu verstehen, mithin sei die neuzeitliche Jurisprudenz eine Wissenschaft ohne festen Grund, denn für Vico steht fest, «Poëtas fuisse primos Rerumpublicarum Fundatores»28. Daher Vicos Anstrengung, einen verbindlichen wissenschaftlichen Standard der Philologie einzuführen, «Philologiam ad Scientiae normam exigere»;29 die Philologie findet ihre Legitimation als Wissenschaft, durch die es möglich ist, (rechts)historische Erkenntnis auf ein sicheres Fundament zu stellen: «Die Umwandlung der Philologie in eine Wissenschaft hängt folglich davon ab, daß es gelingt, zu dem, was gewiß ist – den politischen Institutionen der historischen Zeit –, die Ursachen aufzufinden, denen sie ihre Entstehung verdanken.»30 Methodisch stellte das Werk damit eine Herausforderung dar und irritierte Vicos Zeitgenossen.31 Die Anwendung rhetorischer Kategorien als Analyseinstrumente einer Rechtsgeschichte war neu. Zumal Vico weit über dieses Ziel hinausging und de facto durch diese «transference of rhetorical competences to hermeneutics»32 den Grundstein zu seiner kulturgeschichtliche Hermeneutik legte. Was mit einer Exposition rhetorischer Prinzipien in öffentlicher Rede begonnen hat, findet seine ausführlichste Darstellung 1725 in der Scienza Nuova: die Transformation der Rhetorik zu einer universalen Philologie.

Die Scienza Nuova ist also die Summe von Positionen, die sich durch das gesamte Werk Vicos verfolgen lassen. Doch schon bei der Benennung dieser Wissenschaft ergibt sich ein Problem. Vicos Schriften kennzeichnet eine auffällige Definitionsvermeidung. Wo Vico einen Begriff definitorisch einengt, stellt er ihm sofort einen Gegenbegriff zur Seite:33 Die neue Wissenschaft sei eine «Teologia Civile Ragionata della Provvedenza Divina»;34 eine «Storia dell’Umane Idee; sulla quale sembra dover procedere la Metafisica della Mente Umana»;35 eine «Filosofia dell’Autorità, ch’ è ’l Fonte della Giustizia Eterna»; sie beschreibe eine «Storia Ideal’Eterna».36 Dabei bediene sich die neue Wissenschaft einer «Arte Critica pur Metafisica»,37 die Chronologie, Geographie und eine «Critica Filologica»38 verbindet, um einem Kriterium gerecht zu werden, das aus dem Wirken der Vorsehung gewonnen wird und an dem sich der Gemeinsinn aller Menschen erkennen lasse – die Schönheit der staatlich organisierten Welt:

E ’l Criterio, di che si serve, per una Degnità sovra posta, è quello insegnato dalla Provvedenza divina comune a tutte le Nazioni, ch’è il senso Comune d’esso Gener’Umano, determinato dalla necessaria convenevolezza delle medesime umane cose, che fa tutta la bellezza di questo Mondo Civile.39

Die Zusammenhänge, die Vico knüpft, verbinden unterschiedliche Disziplinen, allesamt abhängig von der philologischen Arbeit. Dennoch: Die Philologie als Wissenschaft des certum gebe ohne die Philosophie, die sich mit dem verum befasst, eine unvollständige Wissenschaft ab: «La Filosofia contempla la Ragione, onde viene la scienza del vero: la Filologia osserva l’Autorità dell’Umano Arbitrio, onde viene la Coscienza del Certo40 Wie bereits im Diritto Universale sind die Philologen beschäftigt mit Sprachen und Dingen, die Vico in der Scienza Nuova ordnet nach Innen (Bräuche und Gesetze) und Außen (Kriege, Frieden, Bündnisse, Reisen, Handel). Die Philologen sind «occupati d’intorno alla cognizione delle Lingue, e de’ Fatti de’ popoli, così in casa come sono i costumi e le leggi, come fuori, quali sono le guerre, le paci, l’alleanze, i viaggi, i commerzj41 In dieser Verbindung von Philosophie und Philologie besteht die «Nuova Arte Critica»,42 die dazu geeignet sei, den Gemeinsinn der Völker aufzuzeigen in Gestalt eines geistigen Wörterbuchs, das den Wortschatz liefere für die Konzeption der ewigen Idealgeschichte: «il senso Comune del Gener’Umano […] insegnato alle Nazioni dalla Provvedenza Divina […] ond’esce il Dizionario Mentale da dar l’Origini a tutte le lingue articolate diverse; col quale sia conceputa la storia Ideal’Eterna […].»43 Geschichte bedeutet zwar res gestae, aber es sind die Taten von mehreren Menschen. Vicos Geschichte ist immer Völkergeschichte, in der ein kollektives Bewusstsein sichtbar wird, auf dessen Basis Entscheidungen getroffen werden: «The sensus communis is the ‹common ground of truth›, and ‹truth› is the community’s judgement about practical needs and choices […].»44 Historische Wissenschaften und Sozialwissenschaften sind nicht zu trennen: De singularibus non est scientia – der aristotelische Grundsatz gilt unverändert auch für Vico.

Die Metapher des dizioniario mentale ist nicht zufällig gewählt, sie markiert das Primat der Philologie, weshalb Heinz Schlaffer Vico in seiner Geschichte der Philologie zurecht an den Beginn des «hermeneutische[n] Zeitalter[s]»45 stellt. Vicos Wissenschaft steht für eine Richtung, die davon ausgeht, dass das Verstehen der Menschheit nur über deren Geschichte möglich ist. Vico verbindet also das thematische Spektrum der Rhetorik als scientia civilis mit den methodischen Schritten von Etymologie und Mythen-Analyse. Zu diesem primär pragmatisch-methodischen Aspekt, der Verbindung stiftet, tritt noch der dogmatische. In all diesen Punkten sei die göttliche Vorsehung am Werk. In der zyklisch geordneten Abfolge der Geschichte zeige sich die Providenz als ordnende Kraft, hier wird der göttliche Plan sichtbar. Die Vorsehung garantiert «die Rahmenbedingungen und allgemeinen Verlaufsformen»46 der Geschichte, ihre zyklische Wiederkehr, in der die Menschheit nach dem Sündenfall ansonsten die Tendenz hätte, sich selbst zu zerstören. Die Vorsehung stellt den zivilen Zusammenhalt sicher, der bei Vico zum Gegenstand der Geschichte wird, «providence provides, literally, that which will serve them [den Menschen, P. Sch.] as the tools to […] construct the civil world.»47

Die providentielle Begründung der neuen Wissenschaft ist ein Strukturprinzip, mit dem sich die spekulativsten Thesen zur Entwicklung von Poesie, Recht, Staat als Manifestationen eines in der Geschichte wirksamen göttlichen Willens deuten lassen. Dass dieses Bekenntnis zum Providenz-Denken auf Widerstände stoßen konnte, zeigt nicht zuletzt die Scienza Nuova selbst. Denn der Ausgangspunkt Vicos ist die Annahme, dass Menschen Geschichte deuten können, weil sie diese selbst hervorgebracht haben. Am Anfang des Abschnitts von den Prinzipien stellt Vico klar, dass die Philosophen in der Betrachtung der Natur einer unergiebigen Beschäftigung nachgegangen seien, da diese Natur, von Gott geschaffen, auch nur von Gott zu verstehen sei. Anderes gilt für die zivile Welt in allen ihren Ausformungen:

[I] Filosofi seriosamente si studiarono di conseguire la Scienza di questo Mondo Naturale; del quale perchè Iddio egli il fece, esso solo ne ha la Scienza; e traccurarono di meditare su questo Mondo delle Nazioni, o sia Mondo Civile; del quale perchè l’avevano fatto gli uomini, ne potevano conseguire la Scienza gli uomini.48

Damit greift Vico einen Gedanken auf, den er schon im ersten Kapitel des Liber Metaphysicus ausgeführt hatte. Dort präsentiert er seine Geschichtsauffassung als Variante antiker Positionen. «Latinis verum et factum reciprocantur, seu, ut Scholarum vulgus loquitur, convertuntur […].»49 Das Wahre und das Gemachte stehen im Verhältnis der Wechselbezüglichkeit, was in der axiomatischen Kurzfassung, «[v]erum esse ipsum factum»,50 zugespitzt wird. Im Kontext der Scienza Nuova wirkt das Beharren auf diesem Grundsatz paradox, da das Handeln des Menschen als von vornherein eingebunden in den providentiellen Rahmen präsentiert wird. Indes, für eine Autonomiebehauptung, die in dem Satz einen Beleg für die Formbarkeit der Geschichte durch ein starkes Subjekt erkennt, gibt es kaum Gründe. Vielmehr ist darin die Forderung zu sehen, die Möglichkeiten menschlichen Machens nachzuweisen innerhalb der Bedingungen, die die Offenbarung ihm lässt.51 Das bedeutet im Zusammenhang der Scienza Nuova eine deutliche Aufwertung der Philologie als der Wissenschaft, die für das Gemachte zuständig ist. Deutlich wird dies in den Ausführungen Vicos zur poetischen Logik. Vicos Ziel ist, den Anfang der Universalgeschichte erkennbar zu machen. Dazu greift er auf die Dichtersprache zurück, die schlechthin machende, poietische Sprache und zeigt an den überlieferten Beispielen für antike Metaphern, Metonymien, Synekdochen und Ironie, wie sich die Urvölker in poetischen Charakteren verständigt haben mussten: «che la Favella Poetica in forza d’essi Caratteri Poetici ne può dare molte, ed importanti Discoverte d’intorno all’Antichità52 Die Tradition wird damit auf den Kopf gestellt. Nicht mehr hat die Philologie den kanonisierten Bestand rhetorischer Texte zu sichern, sondern die Rhetorik wird mit ihren Tropen zum Begriffs-Inventar umfunktioniert, das dazu dient, den geschichtsanalytischen Zweck der Philologie zu unterstützen. Denn nicht nur dienen die Tropen dazu, die Mythen der antiken Völker zu deuten, sie markieren auch Phasen des zyklischen Geschichtsablaufs. Indem die Philologie sich der menschengemachten Sprache widmet, arbeitet sie unter dem Prinzip des verum ipse factum ihrem historischen Zweck zu, wie Hans Blumenberg in seiner Metapherntheorie mit Blick auf das liber naturae summarisch formulierte: «Unter dieser Prämisse überschreitet die Philologie die Schwelle des Thesaurus der alten Wahrheit. Sie wird zur Theorie der Geschichte selbst.»53

Welche Rolle spielt die Natur dabei? Zunächst seien dazu die Titel der ersten Auflage der Scienza Nuova von 1725 und der substantiell erweiterten zweiten Auflage von 1730 verglichen. Der Titel der ersten Scienza kündigt Principj di una scienza nuova intorno alla natura delle nazioni per la quale si ritruovano i principj di altro sistema del diritto naturale delle genti an. In der überarbeiteten Fassung heißt es anders: Cinque libri di Giambattista Vico de’ principj d’una scienza nuova d’intorno alla comune natura delle nazioni. Zwei Dinge fallen ins Auge: Was Vico nun betont, ist die gemeinsame Natur der Völker. Es geht um ein Verständnis der Völker jenseits der Grenzen von Zeit, Raum und Sprache, um eine anthropologisch fundierte Hermeneutik. Doch der größte Unterschied zwischen den Titeln liegt in der Entfernung des «diritto naturale». Damit zieht Vico die Konsequenz aus seiner Auseinandersetzung mit dem Naturrecht, dessen neapolitanischer Spielart Vincenzo Ferrone mit Blick auf seine federführende Institution den Namen des «giusnaturalismo investigante» gab.54 Dem materialistischen Naturrecht eines Francesco D’Andrea, dessen atomistische Ansichten auch den Verdacht des Atheismus auf die Accademia degli Investiganti gezogen hatten, mochten Vico zu dem Schritt bewogen haben, die Naturrechtsdebatte aus dem Titel zu entfernen.

Doch es ist nicht nur das Naturrecht, von dem sich Vico demonstrativ zurückzieht. Vielmehr ist es die Natur an sich, die in der Scienza Nuova eine untergeordnete Rolle spielt, was erstaunt, da es um die (gemeinsame) Natur der Völker geht. Vico verwendet hier einen Natur-Begriff, der von der Verwendungsweise seiner Zeitgenossen abweicht. Denn mit «natura» ist gerade nicht die physische Natur gemeint, sondern: «Natura di cose altro non è che, che nascimento di esse in certi tempi, e con certe guise […].»55 Der Natur-Begriff, den Vico verwendet, beinhaltet also einen historischen Perspektivismus, die Natur der Dinge ist abhängig von ihrer Entstehungszeit und ihrem Entstehungszusammenhang: «[L]a natura dell’uomo vichiano non è natura, ma è storia.»56 An sich kommt Vicos Wissenschaft ohne Naturwissenschaften aus, sie ist «né fisicameta-fisica perché diventa a-fisica»,57 so Pietro Piovani, der sie eine «filosofia senza natura», nennt. Doch dass Vico genau dieses Wort «natura» einsetzt, hat für seine Position in der Wissenschaftsgeschichte Bedeutung. Eine konsequente Umsetzung seines Begriffs bedeutete die Auflösung der Grenzen zwischen sciences naturelles und sciences morales et politiques. Die Historie wird damit zur mathesis universalis, die Philologie ihre Methode.58

Die Scienza Nuova ist bis in die sprachlichen Details eine Alternativ-Wissenschaft. Vico befreit die Topik von Fachgebundenheit und gibt der Rhetorik das Potential einer Universalwissenschaft, in der die Stimulation der Phantasie eine höhere Priorität erhält als rationale Nachvollziehbarkeit. Seine Variante einer Reaktion auf die Naturrechtsdebatte substituiert den Topik-Begriff durch eine Spielart der Philologie, die selbst zu einer Art ars inveniendi wird: Der Philologe nimmt als Verwahrer und Deuter des certum die Überlieferung in den Blick, während die Philosophie sich mit dem verum befasse. In der Scienza Nuova schließlich bekommt diese Philologie ihren geschichtsphilosophischen Rahmen, sie wird zum Nachweismittel der göttlichen Offenbarung und zum Instrument, mit dem deren Wirken in der Geschichte sichtbar gemacht werden kann. Die Arbeitsteilung von Philosophie und Philologie ist aufgehoben, beide fließen zusammen in einer filosofia dell’autorità. Dieselbe Wissenschaft nennt Vico auch die «Nuova Arte Critica»,59 ein Name, in dem die frühe Polemik gegen die rationalistischen critici aufgehoben ist. In jedem Fall ist es eine Wissenschaft, die bis dato gefehlt hat, «che finor’ ha mancato»,60 so der selbstbewusste Kommentar.

Wer sich in Nachfolge Vicos auf die Philologie beruft, verwendet damit einen Begriff, dessen Wurzeln in die klassische Antike, in die mittelalterliche Scholastik und den italienischen Humanismus reichen; und er öffnet damit einen Bedeutungsraum, in dem die gesamte Geschichte der Menschheit Platz hat. Die Menschheit zu verstehen als ein Kollektiv, das zwar unterschiedliche Kulturen ausgeprägt hat, aber für das sich ebenso grundlegende Gemeinsamkeiten aufzeigen lassen, war Vicos Ziel. Für einen Philologen, dessen Interessengebiet sich nicht durch Sprachbarrieren oder historische Ferne eingrenzen lässt, sondern in dessen Fokus die Literatur als Weg zur Wirklichkeit der Menschheit steht, bietet diese Konzeption, so fern und obskur sie in ihrer Begründung scheinen mag, wichtige Anregungen.

3. Philologie der Weltgeschichte: Auerbach und Vico

Wie findet Auerbach Zugang zum Werk des Neapolitaners? Laut Selbstaussage hat ihn sein Lehrer Ernst Troeltsch darauf gebracht, doch in den Schriften Troeltschs sind nur andeutungsweise Spuren einer Auseinandersetzung mit Vico auszumachen. Auerbach musste sich Vico selbst erschließen, was er zum ersten Mal systematisch in seiner bei Troeltsch 1921 vorgelegten Staatsexamensarbeit «Vicos Auseinandersetzung mit Descartes» tat. Dennoch ist es sinnvoll, sich der Rezeption Vicos bei Auerbach, entgegen der Chronologie, über den Weg seiner Übersetzung anzunähern, da hier in der Auseinandersetzung mit Vicos Text implizite Interpretationsakte sichtbar werden, die Ansätze Auerbachs späterer Lektüren vorwegnehmen.

Zwei kürzere Beispiele aus dem ersten Buch der Scienza Nuova zeigen, wie Auerbachs Entscheidung für bestimmte Übesetzungsoptionen einen festen Interpretationsrahmen erkennen lassen. Die vierzehnte der degnità Vicos ist bekannt: «Natura di cose altro non è che nascimento di esse in certi tempi, e con certe guise […].»61 Auerbach übersetzt: «Die Natur der Dinge ist nichts anderes als ihr Entstehen in bestimmten Zeitläuften und unter bestimmten Umständen […].»62 Indem Auerbach die schon 1924 altertümliche Vokabel «Zeitläufte» verwendet, macht er nicht nur eine Konzession ans achtzehnte Jahrhundert, sondern betont auch die Prozesshaftigkeit des aufgerufenen Zeit-Modells. Vicos «certi tempi» bringen das so deutlich nicht mit sich. «Tempo» bei Vico kann einfach «Epoche» bedeuten. Deutlicher wird die semantische Färbung Auerbachs noch durch die Übersetzung von «guise» als «Umstände». Die Entstehung der Dinge hängt bei Auerbach ausschließlich von der historischen Umgebung ab, während der allgemeinere Begriff «guisa» das zwar nicht in Abrede stellt, aber auch die Möglichkeit einer intrinsischen Natur offenlässt. Ähnlich sieht es aus mit «pubblici motivi di vero»63. Vico schreibt in diesen Absätzen davon, weshalb bestimmte Gegenstände von der Überlieferung gerettet werden und spekuliert, dass die Öffentlichkeit darin eine traditionswürdige Wahrheit gesehen haben mag. Wenn Auerbach von «geschichtlich wahre[n] Motiven»64 schreibt, ist klar, wie er diese Öffentlichkeit sieht. Für ihn hat der gesamte Prozess nur Sinn in seiner Historisierung. Wohl deshalb übersetzt er die Vico’schen Präpositionalphrasen konsequent als Adjektivattribute. Also nicht «Motive des Wahren» oder gar «Motive des verum», denn bei Vico schwingt dabei die Konzeption des mit Mitteln der Philologie aufzufindenden verum mit, sondern «wahre Motive».

Deutlicher als in den Details einzelner Stellen wird dies in der Übersetzung eines Schlüsselbegriffs. Mit dem Wort «civile» knüpft Vico an die normative Tradition des lateinischen civilis-Begriffs an, das die Abgrenzung vom Wilden, nicht städtisch Organisierten bedeutete und damit eine Übersetzung des griechischen πολιτικός bot. Die civiltà verweist auf den Menschen als Gemeinschaftswesen.65 Problematisch wird der Begriff bei Vico jedoch nicht wegen dieses Wortes allein, sondern wegen seines ungewöhnlichen Natur-Begriffs, von dem sich ein Konzept des «civile» schwer absetzen kann. Wenn Natur bei Vico schon den Zusammenhang der Entstehung von Kulturen bezeichnet und damit eben nicht nur die ökologische Natur meint, so steht diese Natur a priori in einem relationalen Verhältnis zu dem, was Vico «civile» nennt. Mit dem Vico-Axiom vor Augen ließe sich sagen: Die Natur ist dem vichianischen Menschen die Bühne seiner Geschichte. Von dieser Natur kann sich «civile» nur durch verschärfte Konkretisation absetzen. Die Lage stellt sich als besonders intrikat dar, da an dieser Stelle eine Lücke im Wortschatz Vicos klafft. Das Wort «cultura» kommt bei Vico nicht vor. Dafür erscheint das polyseme Adjektiv in einer Vielzahl von Kombinationen, welche die «in keiner andern Sprache anzutreffende Bedeutungsbreite des Adjektivs ‹civile›»66 bestätigen, wobei Vico im Speziellen bescheinigt wird, das Wort in «teils überlieferten, teils neuen, auch exzentrischen Bedeutungen»67 zu verwenden:68

«la quale [la natura socievole dell’uomo, P. Sch.] nell’opera si dimostrerà essere la vera civil natura dell’uomo e, sì, esservi diritto in natura. La qual condotta della Provvedenza divina è una delle cose che principalmente s’occupa questa Scienza di ragionare; ond’ella, per tal aspetto, vien ad essere una Teologia civile ragionata della Provvedenza divina.» (18)
«[die gesellige Natur des Menschen,] welche im Verlauf des Werkes als die wahre politische Natur des Menschen erwiesen wird, so daß es also von Natur ein Recht gibt. Solches Vorgehen der göttlichen Vorsehung ist eine der wichtigsten Materien, mit deren Behandlung sich diese Wissenschaft befaßt, so daß sie aus diesem Gesichtspunkt zu einer vernünftigen Theologie der göttlichen Vorsehung in der Geschichte wird.» (44)

«perchè ’l mondo civile cominciò appo tutti i popoli con le religioni» (22)
«weil die politische Welt bei allen Völkern mit den Religionen begann» (50)

«che la Provvedenza fu l’ordinatrice del Diritto natural delle genti; la qual permise che […] esse si attenessero al certo ed all’equità civile, che scrupulosamente custodisce le parole degli ordini e delle leggi […].» (169)
«daß die göttliche Vorsehung das natürliche Recht der Völker bestimmt hat; […] so gestattete sie, daß die Völker sich ans Gewisse und an die zivile Rechtsauffassung hielten, die aufs Genaueste den Wortlaut der Verordnungen und Gesetze beobachtet.» (123)

«che questo mondo civile egli certamente è stato fatto dagli uomini; onde se ne possono, perchè se ne debbono, ritruovare i principii dentro le modificazioni della nostra medesima mente umana […].» (172f.)
«daß diese historische Welt ganz gewiß von den Menschen gemacht worden ist: und darum können (denn sie müssen) in den Modifikationen unsere eigenen menschlichen Geistes ihre Prinzipien aufgefunden werden.» (125)

«la nostra Teologia cristiana, mescolata di civile e di naturale e di altissima teologia revelata» (200)
«unsere christliche Theologie, die aus natürlicher und politischer und höchster geoffenbarter Theologie gemischt ist» (147)

«tali uomini [i primi poeti teologi, P. Sch.] tutto ciò che vedevano, immaginavono ed essi stessi facevano, credettero esser Giove […]; ch’è la storia civile di quel motto: … Iovis omnia plena […].» (216f.)
«glaubten jene Menschen [die ersten theologischen Dichter, P. Sch.], daß das, was sie sahen, sich einbildeten oder gar selbst taten, Jupiter sei […]; dies ist der historische Ursprung des Satzes ‹Iovis omnia plena› […].» (156)

Schon das erste Beispiel ist ein Beleg für Auerbachs historistische Prägung. Das «civile» der «Teologia civile ragionata della Provvedenza» wird von ihm durch «in der Geschichte» wiedergegeben. Damit engt Auerbach den semantischen Hof von «civile» ein, denn gemeint ist an dieser Stelle zunächst ein nicht näher bestimmtes Zusammenleben der Menschen. Daher wäre eine Übersetzung mit «politisch», die Auerbach für «civil natura» ja verwendet hat, naheliegend gewesen. Doch er betont die Geschichtlichkeit, noch dazu durch die prominente Stellung als Präpositionalphrase am Ende des Satzes.69 Bezeichnenderweise übersetzt Auerbach «civile» im zweiten Beispiel als «politische Welt», deren Entstehung mit der Entstehung der Religionen zusammenfällt. Das ist eine insofern plausible Lösung, als der Begriff des «mondo civile» «eine Reihe von über Vergesellschaftung hinausgehenden Ordnungsleistungen voraus[setzt]».70 Im zweiten Beispiel werden so Politik und vor allem Religion als ordnungsstiftende, zivilisierende Prinzipien eingefangen: «Der Terminus il Mondo Civile […] antizipiert den Dekaden später geprägten Zivilisationsbegriff.»71 So erklärt sich auch das vierte Beispiel: Wenn der Übersetzungskontext es zulässt, übersetzt Auerbach Politik und Religion getrennt als zwei ordnende Kräfte, die er ansonsten in dem offeneren «historisch» zusammenfasst. Beinahe kurios wirkt dann die «zivile Rechtsauffassung» des dritten Beispiels. Vico schreibt hier über die kulturstiftende Wirkung der Einsetzung des Rechtssystems durch die Vorsehung. Damit ist primär eine Wirkung auf die Gemeinschaft der politisch organisierten Menschen gemeint, sodass «politisch» eine denkbare Alternative wäre, doch indem Auerbach den anachronistischen Begriff des Zivilen aufruft, lenkt er auch hier den Fokus auf die Prozesshaftigkeit des Konzepts.

Auerbach selbst hat in einem 1937 erschienenen Aufsatz über das Dilemma des Übersetzers geschrieben. Auerbach macht darin einige Bemerkungen zu seinem Verständnis Vicos, die die spätere Kritik beinahe zu antizipieren scheinen. Er konzentriert seine Stilanalyse des Vico-Satzes auf einen einzelnen Satz: «Wir Menschen haben die Geschichte gemacht!»72 Indem er diesen Punkt zum Glutkern der Scienza Nuova erklärt, liefert er die Grundlage der variierenden Übersetzung von «civile». Man müsse es, «je nach dem Zusammenhang, mit den Ausdrücken gesellschaftlich, staatlich, politisch, geschichtlich wiedergeben.»73 Signifikant ist zudem, dass er in demselben Aufsatz auf das schräge Verhältnis der Konzepte «natura» und «civile» bei Vico hinweist. Doch die Ambivalenz, die Vicos «natura» zwischen den Polen überzeitlicher menschlicher Eigenschaften einerseits und historisch bedingten Handlungspotenzen pendeln lässt, reduziert Auerbach klar zugunsten der zweiten Bedeutung. Zwar gibt er zu verstehen, dass mit «natura» bei Vico «das Beständige, allen Menschen Gemeinsame»,74 die «Gesellschaftlichkeit»75 gemeint sein kann, doch ist er schnell dabei, die Inkonsequenzen von Vicos Sprachgebrauch aufzuzeigen. Was er eigentlich gemeint habe, ist das: «[F]ür ihn bedeutet die menschliche Natur, wie wir nun zeigen werden, eben die menschliche Geschichte selbst.»76 In seiner Übersetzung ebenso wie in der Historisierung von Vicos Natur-Begriff macht Auerbach sein Interesse an den Bedingungen des Verstehens von Geschichte sichtbar. Das führt zurück zu der bei Vico diskutierten Frage, was unter Geschichte zu verstehen sei – alles Menschengemachte. Auerbach nennt dies «die erkenntnistheoretische Grundlage des ganzen Werkes».77 In seinen Lektüren ist Auerbachs Beurteilung des Vico-Axioms «verum et factum convertuntur» zwar nicht konsistent, doch «die Idee der Philologie, die ich von Vico gelernt habe»78 nimmt hier ihren Ausgang.

Dabei fällt auf, dass eine konkrete Deutung des verum-factum-Prinzips in Auerbachs frühen Schriften fast ausbleibt. An die Stelle des Axioms, das er in «Vicos Auseinandersetzung mit Descartes» nur beiläufig behandelt, tritt dessen antikartesianische Frühform: «Und nun kommt der wichtigste Satz, in dem der ganze Vico steckt: geometrica demonstramus, quia facimus; si physica demonstrare possemus, faceremus79 Damit wappnet sich Auerbach, so scheint es, selbst gegen den «Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit»,80 gegen den Vico die studia humanitatis verteidigen wollte. Denn spätestens mit dieser wissenschaftlichen Qualifikationsarbeit ist die «verachtete Traditionswissenschaft, der Haufen pseudowissenschaftlichen Krams»81 seine eigene Arbeit. Eine indirekte Fortsetzung dieser Funktionsbestimmung der historischen Wissenschaften, die sich durch Auerbachs Gesamtwerk zieht, findet sich auch in der 1922 erschienenen Skizze «Giambattista Vico», in der Auerbach auch nicht auf das Axiom eingeht, aber in der Skizzierung der Werkbiographie Vicos zu einer bemerkenswerten Selbstaussage kommt: «Über dem allen aber ist die Sehnsucht geblieben uns eingereiht zu fühlen in einen großen Plan […]; einen ewigen Weg der Vorsehung zu finden, damit wir gefaßt ertragen können, was uns geschieht.»82 Die Betonung der Providenz für Vicos Geschichtsschreibung ist typisch in Auerbachs Deutung. Doch selten wird so deutlich, dass er damit ein eigenes Programm verfolgt, einen übergeordneten Plan der Geschichte rekonstruieren zu können, oder, vorsichtiger formuliert, Prinzipien der Ordnung, mit der sich (Literatur-)Geschichte nach Vico schreiben ließe. Noch markanter wird dies in der Vorrede zur Vico-Übersetzung, wenn er die Neue Wissenschaft subsumiert unter einer «Vereinigung aller Geisteswissenschaften zur Geschichtstheologie».83

Doch an der Stelle, wo sich Vicos Axiom und der Vorsehungs-Gedanke kreuzen, bleibt Auerbach ratlos: «Wo ist also Vicos Subjekt der Erkenntnis? […] Es bleibt ein unentwirrbarer Widerspruch.»84 Zu einer Synthese kommt Auerbach am Ende des Textes, wo er von Vico schreibt, «der mit der ganzen Kraft eines entflammten Herzens das Hier und Dort aufheben und dafür Eines setzen wollte: so daß Vernunft und Sinnlichkeit in der Geschichte der göttlichen Vorsehung sich vereinigen.»85 Die pathetische Formulierung kann kaum darüber hinwegtäuschen, dass das Konzept, mit dem Auerbach die Zweifel ausräumen möchte, nicht überzeugt. Dennoch scheint sich hier eine seiner eigenen Leistungen auf dem Gebiet einer methodologischen Fundierung der Literaturgeschichtsschreibung anzukündigen. Denn auch die figurale Geschichtsdeutung, die Auerbach in seinem 1938 publizierten «Figura»-Aufsatz entwirft, ist letztlich nichts anderes als eine Aufhebung von Hier und Dort in einem einzigen Moment.86

Ein deutlicher Einschnitt in Auerbachs Vico-Rezeption ist nach 1936 zu bemerken.87 Während Auerbach bis zu diesem Zeitpunkt die Scienza Nuova als ein vorrangig geschichtsphilosophisches Werk liest, bevorzugen die späteren Aufsätze eine philologische Lesart Vicos.88 In «Giambattista Vico und die Idee der Philologie» macht er einen Vorschlag, die zuvor beklagten Widersprüche zwischen dem Menschen als Macher der Geschichte und der potentiellen Ingressionsmacht der Vorsehung aufzulösen. Auerbach bedient sich eines historistischen Kunstgriffs und gliedert die Vorsehung in den Gang der Geschichte ein. Er erkennt, «daß die Vorsehung nicht durch wunderbare Eingriffe von außen wirkt, sondern innerhalb der Geschichte, daß sie eine geschichtliche Tatsache ist.»89 Ein weiteres Mal bietet er eine Übersetzungsvariante von «mondo civile», wenn er die Scienza Nuova beschreibt als «Wissenschaft von der Menschheit, oder von der geschichtlichen Welt (mondo civile, im Gegensatz zu mondo naturale)».90 Ihre Methode sei die nuova arte critica. Auerbach verweist auf ihre Beschreibung der urzeitlichen Völker und der Entstehung von Sprache, Religion etc. mittels der «genialen Analyse der symbolischen Formen menschlichen Ausdrucks».91 Das ist der methodische Aspekt, den Auerbach für sich gewinnt. Er hebt Vicos sprachliche Arbeit an den frühen Überlieferungen hervor und nennt es «Auslegung, Hermeneutik, und sie ist ein Teil der Philologie. Die philologischen Methoden sind es also, die Vico auf die ältesten Denkmäler der Sprache, des Rechts, der Religion und der Dichtung überträgt […].»92 Einen Punkt, der «einer endgültigen Lösung des hermeneutischen Problems zumindest sehr nahe kommt»93 sieht Auerbach in Vicos Einführung des sensus communis. Auerbach geht dabei in charakteristischer Weise über Vico hinaus, denn Vicos sensus communis ist kein präreflexiver, von allen Menschen geteilter Sinn, der ohne Weiteres gegenseitiges Verstehen ermögliche. Der sensus communis ist eine Kulturtechnik, ausgebildet durchs Studium der Humaniora, zumal der Rhetorik. Vico selbst schreibt immer wieder von den Mühen, die das Erforschen der ersten Völker mit sich bringt: «l’aspre difficultà che ci han costo la Ricerca di ben venti anni […].»94 Auerbach stellt diesen bei Vico offensichtlich nicht reibungslos funktionierenden senso comune ohne Probleme in den Dienst der philologischen Hermeneutik: «[S]o wird der sensus communis […] zugleich zur subjektiven Begründung eines Geschichtsverständnisses, das heißt jener verstehenden Philologie, die Vico betreibt.»95 Von Bedeutung für Auerbach ist dieser Text jedoch nicht nur durch die Historisierung des sensus communis, sondern auch durch seine Umfunktionierung des Philologie-Begriffs: «Philosophisch ist die Kritik […] auch insofern sie oft zu philosophisch-anthropologischen Erkenntnissen führt. Aber sie selbst ist Philologie.»96 Der Schlussabsatz fasst die Lektüre zusammen:

Man wird also wohl berechtigt sein, die Neue Wissenschaft als ein philologisches Werk zu betrachten – als das erste Werk der verstehenden Philologie, die im 19. und auch im 20. Jahrhundert, freilich oft unter anderem Namen, einen schönen Platz und eine bedeutende Aufgabe hatte. Vico gründete sie, als erster, auf das Vertrauen zu Gemeinschaft des Menschlichen; ihm kam es auf den Menschen überhaupt an. […] In diesem Sinne wird Philologie zum Inbegriff der Wissenschaft vom Menschen, insofern er ein geschichtliches Wesen ist […].97

Die Sätze scheinen so harmlos, dass man den pessimistischen Unterton des Schlusses beinahe überlesen könnte. Doch im Jahr 1936 schreibt Erich Auerbach, der am 16.10.1935 von den Nazibehörden zwangsentlassen wurde, auch von Vicos Einsicht in die Nachtseiten der Geschichte, in die «groß[e] und schrecklich[e] Wirklichkeit der Geschichte».98 Der Schluss wird noch konkreter: «Das ist seine [Vicos, P. Sch.] Humanität; etwas weit Tieferes und Gefährlicheres als das, was man zumeist unter diesem Worte versteht. Aber trotzdem, oder gerade deshalb, entdeckte er das Gemeinsame des Menschlichen, und hielt es fest.»99 Vicos Philologie ist für Auerbach nach 1936 die Verstehende Philologie als Wissenschaft vom Menschen. Der Einschnitt, der mit dieser Erkenntnis verbunden war, wird umso deutlicher, verglichen mit der Position, die Auerbach noch vier Jahre zuvor vertreten hatte: «Er [Vico, P. Sch.] wollte ja nicht die Menschen betrachten, sondern Gott unter dem Aspekt seiner historischen Vorsehung.»100

Damit liegt Auerbachs Vico in zwei Varianten vor: als theologisch denkender Geschichtsphilosoph, der die Geschichte als Schauplatz der Vorsehung beschreibt; als Philologe im weitesten Sinne, der vom Menschen als geschichtlichem Wesen ausgeht, das aufgrund seiner Menschlichkeit in der Lage ist, auch ferne historische Daten zu verstehen und für den die Vorsehung selbst ein Teil der Geschichte ist als ein Mittel zur Herstellung einer Ordnung, eines «Sinnganzen», ohne dabei jedoch wirklich in den historischen Verlauf einzugreifen. Auerbach hat also eine Interpretation der Idee der Philologie Vicos gelernt, die eine auslegende Arbeit mit einer historischen Perspektivierung verbindet. Wie aber setzt Auerbach die Vorstellungen Vicos in seiner eigenen literaturwissenschaftlich-philologischen Arbeit um? Dazu lohnt sich ein Blick in die methodisch expliziten Texte «Philologie der Weltliteratur» von 1952 und «Über Absicht und Methode», das posthum, 1958, erschienene Vorwort zu Literatursprache und Publikum in der lateinischen Spätantike und im Mittelalter.

In der Programmschrift einer supranational operierenden Philologie plädiert Auerbach nach wie vor für eine historische Fundierung der philologischen Arbeit. Eine Aufgabe sei das Finden geeigneten Materials sowie «seine Durchdringung und seine Verwertung für die innere Geschichte der Menschheit, für den Erwerb einer in ihrer Vielfalt einheitlichen Vorstellung vom Menschen. Das war, seit Vico und Herder, die eigentliche Absicht der Philologie […].»101 Um das Ziel, die ungeheuren Materialmassen, die eine weltliterarisch-komparatistisch orientierte Philologie notwendigerweise mit sich bringt, einordnen zu können, führt Auerbach seinen Begriff des «Ansatzpunktes» ein und exemplifiziert ihn an Ernst Robert Curtius’ Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. «Erst durch die Auffindung eines zugleich fest umgrenzten, übersehbaren und zentralen Phänomens als Ansatz (nämlich der rhetorischen Überlieferung, und insbesondere der Topoi) wurde die Durchführung des Planes möglich.»102 Für eine konkrete Ausführung dieser Methode, die sich auf die synthetisierende Kraft des einheitlichen Ansatzpunktes verlässt, steht bei Auerbach die Stilkritik: «Die Methode ist längst bekannt; die Stilforschung zum Beispiel bedient sich ihrer seit langem […].»103 Dieses Verfahren scheint Auerbach «d[as] einzig[e], d[as] es uns zurzeit gestattet, bedeutende Vorgänge der inneren Geschichte auf weitem Hintergrund synthetisch und suggestiv vorzustellen.»104 Darin liegt das Ziel der Philologie.

Im Vorwort «Über Absicht und Methode» führt Auerbach Vico als Inspirator dieser philologischen Methode ins Feld. Im Unterschied zu den früheren Arbeiten erarbeitet sich Auerbach hier die Suchbewegung des Philologen, der zuerst einen Ansatzpunkt zu finden hat, aus Vicos Theorie der geschichtlichen Erkenntnis. Die «Technik der Auffindung, Übermittlung, elementaren Deutung und Vergleichung der Zeugnisse»105 ist auch Auerbachs eigene. Doch an keiner anderen Stelle macht Auerbach die Verbindung Vicos mit der Geschichtskonzeption des Historismus so explizit wie hier und verbindet diesen mit der Stilkritik: «Jedenfalls ist hier, zugleich mit dem Stilbegriff, der Historismus ins Leben getreten […].»106 Bedeutsam ist diese Verknüpfung deshalb, weil dadurch das Modell historischer Repräsentativität, das etwa Mimesis zugrunde liegt, seine Begründung findet: «Und in der Einheit der Darstellung der Frühkulturen bringt Vico auf eine unvergleichlich großartige Weise das zur Darstellung, was die moderne Kritik Stil nennt: die Einheitlichkeit aller Gestaltungen einer jeden geschichtlichen Epoche.»107

So speist sich Auerbachs spezifische Methode der Stilkritik aus dem Dialog mit Vico. Dessen «Induktion aus dem einzelnen Zeugnis»108 ist gleichbedeutend mit dem Vorgang «vom charakteristisch Einzelnen durch Entfaltung zur Synthese zu gelangen»,109 worunter Auerbach die interpretierende Sammlung von Material unter der übergeordneten Kategorie von «Ansätze[n] oder Schlüsselprobleme[n]»110 versteht. Dabei ist noch ein anderer Rezeptions-Strang wirksam, den Auerbach mit ungewöhnlicher Emphase benennt: der deutsche Historismus, der etwa von seinem Lehrer Ernst Troeltsch vertreten wurde. Der Historismus hatte 1921, als Auerbach seine Promotion und die Staatsexamensarbeit zu Vico abschloss, seinen Zenit längst überschritten. Die aggressive Kritik an ihm als dem Kraftwerk zur positivistischen Ansammlung toten Wissens setzte schon mit Nietzsches Polemiken ein. Das wusste Troeltsch, der mit seiner unvollendeten Arbeit Der Historismus und seine Probleme und der Sammlung von Vorträgen unter dem Titel Der Historismus und seine Überwindung auch zum Chronisten der Krise des Historismus wurde.111 Für den Zusammenhang mit Auerbachs Philologie sei die bündige Aussage Troeltschs zitiert:

So gesehen bedeutet das Problem [der Abwertung historischer Bildung, P. Sch.] allerdings eine Grundfrage unseres heutigen geistigen Lebens, das Problem des sogenannten Historismus überhaupt, d. h. der aus der grundsätzlichen Historisierung unseres Wissens und Denkens sich ergebenden Vorteile und Nachteile für die Bildung eines persönlichen geistigen Lebens und die Schaffung der neuen politisch-sozialen Lebensverhältnisse.112

Der damit verbundene Relativismus, der zu dem befürchteten Sammelsurium an historischen Einzeldaten führen konnte, ist eines der Probleme, an dem Auerbach in seinen Arbeiten weiterdenkt. Ein anderes Problem, das spätestens mit Auerbachs Exilierung akut wurde, ist das der Tendenz, national eingeengte Positionen auszubilden.113 Auerbach begegnet diesen Problemen, indem er einen partikularen Historismus-Begriff einsetzt. Dieser sucht eine Abwehr der nationalistischen Tendenzen der deutschen Tradition durch eine Berufung auf Vico,114 für den nationale Identität kein zentrales Problem war. «Vicos Volksgeist ist allen Völkern gemeinsam; ein partikulär-nationales, gefühlsbetontes Sicheinspinnen in die besonderen Gegebenheiten seines Volkes wäre ihm nie in den Sinn gekommen», schreibt Auerbach, mit einer Spitze gegen Herder, im alternativen Vorwort zur Vico-Übersetzung.115 So wird Vico zum besten Beispiel eines Historismus, den Auerbach mit Vico darstellt als «Theorie der geschichtlichen Erkenntnis».116 Diesen hermeneutischen Grundzug verbindet er, ausgehend von Vicos Charakterisierung der natura di cose, mit dem Begriff des «historische[n] Relativismus oder Perspektivismus»,117 der es ermögliche, auch kulturell fremde Texte zu verstehen. Von Bedeutung sei allein, sich die eigene Verortung in der Geschichte vor Augen zu führen – auch das eine vom hermeneutischen Historismus geerbte Position: «Es ist besser, bewußt zeitgebunden zu sein als unbewußt.»118 In diesem Zusammenhang erweist sich Auerbach auch 1957 noch als Troeltsch-Schüler, dessen Relativismus-Kritik des Historismus ihm präsent ist, der aber umso nachdrücklicher auf dem Historismus-Begriff besteht: «Vor allem aber ist es nicht richtig, daß der historische Relativismus zur eklektischen Urteilsunfähigkeit führt und daß man, um zu urteilen, außerhistorischer Maßstäbe bedürfe.»119

Doch die Kritik am historistischen Relativismus bezieht sich nicht nur auf die erkenntnistheoretischen Voraussetzungen, die Auerbach durch eine Hermeneutik des Fremden löst. Sie richtet sich auch gegen die Materialschlachten, die ein Ergebnis historistischer Forschung waren. Wie kann das unter einem spezifischen Ansatzpunkt gefundene Material zusammengefasst werden? Dazu soll der Blick auf Auerbachs Hauptwerk gelenkt werden. Der Ansatzpunkt hier ist das Thema der Mimesis, verstanden als Darstellung der Wirklichkeit, das Material findet sich in der abendländischen Literatur. In der Gestaltung der einzelnen Kapitel verfährt Auerbach beinahe formalistisch. Beinahe jedes Kapitel setzt mit einer nicht oder nur knapp eingeleiteten Textstelle ein, die dann nach Art der Verstehenden Philologie ausgelegt wird. So wird am Anfang des zweiten Kapitels etwa eine Szene aus Petronius’ Satyricon zitiert und diskutiert als ein Text, der «der modernen Vorstellung von realistischer Darstellungsweise näher[kommt] als was uns sonst aus der Antike erhalten ist».120 Das belegt Auerbach durch seine Stiluntersuchung, in der er Elemente zeittypischen Jargons nachweist und komische Effekte als der Stillage des Realismus angemessene registriert. Erst ein Text aus dem Markus-Evangelium, der bereits durch die Tradition der Figuraldeutung gegangen ist, und damit die Schranken der Stiltrennung durchkreuzen kann, zeigt die geschichtliche «Tiefenbewegung» und die Darstellung einfacher Menschen «mit dem höchsten Ernst».121

«Immer wieder habe ich die Absicht, Geschichte zu schreiben»,122 sagt Auerbach, und im Hinblick auf Mimesis möchte man hinzufügen, er hatte dabei auch die Absicht, eine Geschichte zu schreiben, denn «die lockere, aber doch ständig fühlbare Einheit von Mimesis»123 beruht nicht zuletzt auf der kreativen Transposition literarischer Verfahren in den wissenschaftlichen Text. Vordergründig stützt sich Mimesis auf zwei unablässig miteinander verknüpfte Thesen: die Stiltrennung in literarischen Texten, die eine «ernste Darstellung des Alltäglichen»124 zunächst unmöglich macht und die Praxis der christlichen Figuraldeutung, die diese Stiltrennung in einem ‹existentiellen Realismus› aufhebt. Das sind die Ordnungsprinzipien, die Mimesis als eine lineare Handlung voranschreiten lassen. Denn der typologische Realismus-Begriff, den Auerbach auf die christliche Figuraldeutung zurückführt, findet seine literaturgeschichtliche Erfüllung im Realismus-Naturalismus des neunzehnten Jahrhunderts. Hayden White liest Mimesis deshalb als eine nach figuralen Prinzipien angeordnete Variante der Literaturgeschichte: «In a word, Mimesis presents Western literary history as a story of the fulfillment of the figure of figurality.»125 Whites Analyse führt die Makrostruktur von Mimesis also auf das von Auerbach 1938 selbst explizierte rhetorische Prinzip der figura zurück. Der Ansatz ist einleuchtend und kann im Licht von Auerbachs Vico-Rezeption ergänzt werden.126 Der Linie, die den Plot von Mimesis garantiert, entspricht bei Vico die von Auerbachs stets hervorgehobene Providenz. Indem Auerbach die figura als das ordnungsstiftende Element seiner Literaturgeschichte installiert, verwendet er gleichfalls ein theologisches Konzept, das jedoch intern rhetorisch strukturiert ist. Auch auf konkret narrativer Ebene bedient sich Auerbach rhetorischer Mittel. So steht etwa das erste mit dem letzten Kapitel von Mimesis in einem Verhältnis der repetitio. Was mit dem Betasten von Odysseus’ Bein begonnen hat, endet mit dem durch einen braunen Strumpf verborgenen Fuß bei Virginia Woolf. Intern sind die Kapitel häufig antithetisch gegliedert, in der Art des Vico’schen ingenium, das weit entferntes miteinander verbindet, etwa Homer und die Hebräische Bibel (Kapitel I) oder eine Boccaccio-Novelle und einen altfranzösischen Versschwank (Kapitel IX).127 Mimesis gewinnt dadurch eine für einen wissenschaftlichen Text geradezu unheimliche Geschlossenheit.

4. Rehistorisierung der Philologie: Auerbachs Wirklichkeit und Ginzburgs microstoria

Auerbachs Bekenntnis zum Perspektivismus des Historismus hat mehrere Konsequenzen: All seine philologischen Arbeiten enthalten einen großen Anteil an geschichtlichen Daten. Das hat mit dem Gegenstand zu tun, der, darin folgt Auerbach dem Modell Vicos, in seinem Entstehungskontext erläutert werden soll. Die andere betrifft die Person des Interpreten, der aus dem Produkt seiner Interpretation nicht gelöst werden kann. «Denn der historische Relativismus ist ein doppelter, er bezieht sich auf den Verstehenden ebenso wie auf das zu Verstehende.»128 Der erste Punkt mag einer der Gründe sein, weshalb Auerbach immer wieder auch für nicht literaturgeschichtlich arbeitende Historiker anschlussfähig wurde. Ihm liegt der auf Vico zurückgehende «exzentrisch[e]»129 Philologie-Begriff zugrunde. Und so exzentrisch sein Philologie-Begriff ist, so zugänglich ist sein Begriff historischer Wirklichkeit: «From an epistemological point of view, Auerbach follows the realism of common sense: the existence of real things is not a topic of discussion for him. On the other hand, Auerbach questions how the real is, what it looks like.»130 Dazu kommt Auerbachs europäisches Programm, das sich in den nach Neuerung suchenden historischen Fächern der Nachkriegsjahrzehnte für eine Ausrichtung jenseits nationaler Grenzen anbot. Dabei haben wenige Historiker ihre Inspiration durch Auerbach so offenherzig dokumentiert wie Carlo Ginzburg.131

Einem 2005 erschienenen Aufsatz setzt Carlo Ginzburg Mies van der Rohes Motto «Weniger ist mehr» voran und ergänzt es um eine historiographische Deutung: «By knowing less, by narrowing the scope of our inquiry, we hope to understand more.»132 Der Satz passt in den etwa dreißig Jahre zuvor entwickelten theoretischen Rahmen der Mikrogeschichte. Neu ist in diesem Zusammenhang Ginzburgs Bekenntnis zu Erich Auerbach: «My approach to microhistory has been largely inspired by the work of Erich Auerbach […].»133 Er zitiert daraufhin einen Satz der letzten Seite von Mimesis: «Unterhalb der Kämpfe und auch durch sie vollzieht sich ein wirtschaftlicher und kultureller Ausgleichsprozeß; es ist noch ein langer Weg bis zu einem gemeinsamen Leben der Menschen auf der Erde, doch das Ziel beginnt schon sichtbar zu werden […].»134 Ginzburg bezieht Auerbachs melancholischen Optimismus angesichts des zerstörten Europa auf das Konzept der Ansatzpunkte: «Auerbach believed that one has to look for Ansatzpunkte, that is, for starting points, for concrete details from which the global process can be inductively reconstructed.»135 Auf diese knappen methodischen Hinweise folgt die Ausführung einer solchen historischen Analyse. Ginzburg entdeckt in Jean-Pierre Purrys Mémoires eine kuriose Interpretation der israelitischen Landnahme als Rechtfertigung der europäischen Kolonisierungsantrengungen. Doch wichtiger als Purrys Geschichte ist die methodische Frage, die Ginzburg im Anschluss stellt: «[C]an an individual case, if explored in depth, be theoretically relevant?»136 Die Verbindung des Falles Purry mit den Theorien Webers und Marx’ beantwortet die Frage und gibt noch einmal den Blick auf Ginzburgs Auerbach-Rezeption frei: «A life chosen at random can make concretely visible the attempt to unify the world, as well as some of its implications. In saying this I am echoing Auerbach.»137 Ginzburgs später Verweis auf Auerbachs Einfluss wirkt fast dreißig Jahre nach der Veröffentlichung von Il formaggio e i vermi wie der Versuch einer nachträglichen Einschreibung Auerbachs in das übersichtliche Theorie-Repertoire der Mikrogeschichte. Sein Aufsatz zu Purry hat sich dazu angeboten, da Ginzburg damit den Versuch einer mikrohistorischen Globalisierungsgeschichte138 unternommen hat und sich Auerbachs Schlussgedanke aus Mimesis leicht darin unterbringen ließ. Vielleicht liegt diese methodologische Nachträglichkeit in der Mikrogeschichte selbst begründet, denn am Anfang stand auch hier nicht die Auseinandersetzung mit theoretischen Modellen, sondern ein fertiger Text, Ginzburgs Geschichte vom Müller Menocchio,139 der erst in den auf die Veröffentlichung folgenden Jahren eine Theoriedebatte auslösen sollte.

Ginzburgs Studie handelt von Domenico Scandella, genannt «Menocchio», einem Müller aus dem Friaul, der in seinem Dorf unorthodoxe Lehrmeinungen verbreitete, unter anderem die titelgebende, derzufolge das Universum entstanden sei, als sich die vier Elemente zu einer großen, käseartigen Masse verklumpten und Gott und die Engel aus diesem kosmischen Käse in Wurm-Gestalt schlüpften: «una massa, aponto come si fa il formazo nel latte, et in quel deventorno vermi, et quelli furno li angeli; et la santissima mastà volse che quel fosse Dio et li angeli.»140 So lässt Ginzburg Menocchio selbst zu Wort kommen, im friulanischen Dialekt, der in den Dokumenten der Inquisition protokolliert ist. Ausgehend von den Dokumenten der Verhöre breitet Ginzburg den intellektuellen Horizont Menocchios aus. Doch auch die damit verbundenen allgemeineren Aussagen, die sich zur Verbreitung häretischer Literatur zur Zeit der Gegenformation machen ließen, reichen nicht aus, um eine Einzelstudie zu Menocchio zu rechtfertigen, sodass sich Ginzburg fragt: «Fino a che punto si potrà considerare rappresentativa una figura così poco comune come quella di un mugnaio del ’500 che sapeva leggere e scrivere? e rappresentativa poi, di che cosa?»141 Im Zentrum steht also auch hier die Frage nach der Repräsentativität.142

Der Terminologie Auerbachs folgend, könnte man davon ausgehen, dass Ginzburg seinen Ansatzpunkt im Thema der Machtausübung der katholischen Kirche gegen unorthodoxe Gedanken fand. Unter diesem Forschungsinteresse kam er zum konkreten Material in der Person Menocchios. Der gezielten Auswahl geeigneter Textstellen bei Auerbach und deren mikroskopisch genaue Lektüre entspricht Ginzburgs Beschränkung auf eine einzige nach konservativen Kriterien obskure und unbedeutende Person, deren Repräsentativität er im Laufe der Studie begründet. Die Frage der Darstellung ist dabei weniger komplex als bei Mimesis, da die Ausrichtung des Inhalts an einem bestimmten Lebensabschnitt einer bestimmten Person schon die Linearität der Makrostruktur nahelegt – erzählt wird das Leben Menocchios in seinen Beziehungen zu einzelnen Personen oder Institutionen, von seinem ersten Verhör bis zur Hinrichtung, mit wenigen Analepsen zu früheren Begegnungen mit den Bewohnern seines Dorfes oder seiner Familie. Dennoch hat Il formaggio e i vermi, ähnlich wie Mimesis, grundsätzliche Fragen nach der Darstellungsweise von Geschichte laut werden lassen, auf die Ginzburg und seine Kollegen, die das mikrogeschichtliche Profil der Zeitschrift Quaderni storici prägten, in Vorträgen und Aufsätzen reagierten.143

Gemeinsam mit Carlo Poni konstatiert Ginzburg so 1979 einerseits eine Überfülle an Material – «L’Italia intera può essere considerata […] un immenso archivio.»144 – und andererseits die Unfähigkeit traditioneller historiographischer Schulen, damit umzugehen. Die Mikrogeschichte definierte sich daher zunächst ex negativo, gegen die französischen Annales und gegen die Historischen Sozialwissenschaften etwa der Bielefelder Schule, für die die Individualität der historischen Person eingehegt wurde in systematische Kategorien.145 Der Gegenvorschlag lautet daher, einen genauen Blick auf begrenzte Gegenstände zu werfen, eine «analisi estremamente ravvicinata di fenomeni circoscritti»,146 also etwa eines Dorfes. Den Terminus «microstoria» führen sie beiläufig ein: «[L]a crescente fortuna delle ricostruzioni microstoriche sia legata ai dubbi crescenti su determinati processi macrostorici […].»147 Im selben Kontext ist auch die schon von Ginzburg im Vorwort zur Erstausgabe zu Il formaggio e i vermi geäußerte Foucault-Kritik zu verstehen, denn diesen interessierten «il gesto e i criteri dell’esclusione: gli esclusi, un po’ meno».148 Die Mikrogeschichte ist eine «Sozialgeschichte der Herrschaftseffekte»,149 die den Beherrschten ihre Namen zurückgibt. Ginzburgs und Ponis Vorschlag, das Material praktisch zu einer Einheit zusammenfassen, ist simpel. Ginzburg und Poni orientieren sich am Eigennamen, von dem aus sich das Netz der sozialen Beziehungen und damit das Epochenporträt herstellen lasse: «Le linee che convergono sul nome, e che da esso dipartono, componendo una sorta di ragnatela a maglie strette danno all’osservatore l’immagine grafica del reticolo di rapporti sociali in cui l’individuo è inserito.»150 Das Kriterium, nach dem dieser Name, ausgewählt werden soll, übernehmen Ginzburg und Poni von Edoardo Grendi. Dieser hatte dafür plädiert, anzuerkennen, dass für einen Historiker häufig nicht der statistische Normalfall repräsentativ sein kann, sondern die repräsentative Anomalie, die er und anschließend Ginzburg und Poni die «eccezione normale» nennen: «[I]l documento eccezionale può risultare eccezionalmente ‹normale›, appunto perché rivelante.»151

Die mit dem hier entworfenen mikrogeschichtlichen Programm postulierte anthropologische Wende kündigt sich schon im letzten Satz der Studie zu Menocchio an. Mit diesem sei zugleich ein gewisser Marcato verbrannt worden. «Di Menocchio sappiamo molte cose. Di questo Marcato, o Marco – e di tanti altri come lui, vissuto e morti senza lasciare tracce – non sappiamo niente.»152 Der parenthetische Satz scheint auf einen von Ginzburgs berühmtesten Aufsätzen vorzuverweisen, der das Motiv der Spur mit der Aufgabe des Historikers verbindet. In «Spie. Radici di un paradigma indiziario», ebenfalls 1979 entstanden, schärft Ginzburg die Konstellation von repräsentierendem Kleinteil und repräsentiertem Großen aus semiotischer Warte. Er geht dabei von den Bildbeschreibungen Giovanni Morellis aus und setzt sie unter dem Begriff der Spur ins Verhältnis zu den Symptom-Beschreibungen Sigmund Freuds und der Aufnahme von Indizien in den Kriminalromanen Arthur Conan Doyles: «Tracce: piú precisamente, sintomi (nel caso di Freud), indizi (nel caso di Sherlock Holmes), segni pittorici (nel caso di Morelli).»153 Das Repräsentations-Verhältnis der Spuren zum Ereignis, das die Spuren hinterlassen hat, wird auch hier umgesetzt in einen narrativen Zusammenhang. Der ursprüngliche Spurenleser war der Jäger der Frühzeit. Dass Ginzburg mit seinem Paradigma eine bestimmte Sache verfolgte, zeigt seine ungewöhnliche Definition des Jägers als Erzähler: «Il cacciatore sarebbe stato il primo a ‹raccontare una storia›, perché era il solo in grado di leggere, nelle tracce mute (se non impercettibili) lasciate dalla preda, una serie coerente di eventi.»154 Der Jäger-Erzähler wird so zu einer Präfiguration des Historikers, der in Ginzburgs Darstellung die von ihm gefundenen Spuren in den narrativen Zusammenhang einfügt.

Dass es Ginzburg als Historiker vor allem um diesen Punkt der narrativen Darstellung geht, machte er einige Jahre später, in einem Rückblick auf die Mikrogeschichte und Il formaggio e i vermi deutlich: «Il formaggio e i vermi non si limita a ricostruire una vicenda individuale: la racconta.»155 Sein Vorbild im historiographischen Erzählen, so Ginzburg, sei niemand Geringeres als der Autor von Krieg und Frieden. Doch bei einer solchen Erzählung komme es darauf an, sich der Konstruktionsleistung bewusst zu werden, die eigene Perspektive zu reflektieren.156 Darin habe der gemeinsame Nenner bestanden, auf den sich die ansonsten sehr unterschiedlich arbeitenden italienischen Mikrohistoriker einigen konnten:

L’attegiamento sperimentale che ha coagulato, alla fine degli anni ’70, il gruppo degli studiosi italiani di microstoria […] era basato sull’acuta consapevolezza che tutte le fasi che scandiscono la ricerca sono costruite e non date. Tutte: l’identificazione dell’oggetto e la sua rilevanza; l’elaborazione delle categorie attraverso cui viene analizzato; i criteri di prova; i moduli stilistici e narrativi attraverso cui i resultati vengono trasmessi al lettore.157

Die Ähnlichkeit zu dem, was Auerbach die Bewusstmachung der eigenen Perspektive nannte, liegt auf der Hand. Jeder Schritt des Historikers und des Philologen muss auf seine Voreinstellung, seine Konstruktivität geprüft werden. Das ist nur eines der gemeinsamen Elemente, die sich aus der Übersicht der mikrogeschichtlichen Theoriebildung und Auerbachs Überlegungen zur Methode ergeben. Die eccezione normale, der Name, die Spur, der Fall der Fallstudie; all diese von Ginzburg angeführten Elemente haben Entsprechungen bei Auerbach in den einzelnen Textstellen, die er findet, um an ihnen seine narrative Darstellung auszurichten.

So plausibel die Verwandtschaft Auerbachs und Ginzburgs ist und so nachdrücklich dieser auf seine Beeinflussung durch den deutschen Romanisten hinweist, so auffällig ist die Abwesenheit Auerbachs in den Texten Ginzburgs, die methodische Fragen berühren. In der frühen Phase der italienischen Mikrogeschichte mag dies aus der Negationsgeste zu erklären sein, mit der sich die jungen Mikrohistoriker von den traditionellen Schulen der Geschichtsschreibung lösten. Dazu gehörten neben den Annales und der etablierten Historischen Sozialwissenschaft auch der Historismus, im Besonderen dessen italienischer Vertreter Benedetto Croce, der bis heute nachgerade als Ginzburgs Feindbild bezeichnet werden muss.158 Auerbach, der den deutschen Historismus und dessen croceanische Spielart als sein Übersetzer in Personalunion vertrat, hatte deswegen schlechte Karten. Die sparsamen Bezüge der Mikrohistoriker zu anderen Theoretikern treffen eher poststrukturalistische Denker wie Derrida, Lévi-Strauss und Foucault. Als Inspiration für die konkrete narrative Form seiner experimentellen Geschichtsschreibung, als die Ginzburg seine Werke versteht, führt er bezeichnenderweise Raymond Queneau an159 und nicht Auerbach, dessen Mimesis, trotz seiner modernistischen Einzelkapitel160 das Beispiel einer perfekt synthetisch operierenden Geschichtsschreibung war. Auerbachs methodologisches Interesse war, wie seine Essays zu diesem Thema gezeigt haben, darauf ausgerichtet, Geschichte unter einen synthetisierenden Begriff zu fassen. Doch diese Art von storia sintesi galt es nach Ansicht der Mikrogeschichtsschreiber aufzubrechen.161

Das sechzehnte Kapitel von Mimesis beginnt mit einer Stelle aus Prévosts Manon Lescaut. Ihr wird ein kontrastierender Text an die Seite gestellt, in diesem Fall ein paar Sätze aus dem sechsten von Voltaires Philosophischen Briefen. Auerbach führt diesen Ausschnitt an als Beispiel für einen «realistischen Tex[t], [der] im Dienst der aufklärerischen Propaganda steh[t]».162 Die Propaganda liegt in der Religions-Polemik, die Auerbach hier bei Voltaire beispielhaft verwirklicht sieht, wenn dieser die Börse und nicht etwa das Gotteshaus als den eigentlichen Ort friedvollen Zusammenkommens schildert: «Es lebe die Toleranz! Sie läßt jedem sein Geschäft und sein Vergnügen, mag dieses nun im Trinken oder in irgendeiner absurden Art der Gottesverehrung bestehen.»163

Ginzburg interessiert an diesem Text Auerbachs Realismus-Konzeption, die er nicht mit Bezug zum Stilbegriff definiert, sondern historisch als «realismo moderno esemplificato dai romanzi di Balzac e Stendhal, nei quali eventi ed esperienze singole s’intrecciano a forze storiche impersonali».164 Wenn er allerdings auf derselben Seite Auerbachs «riferimento implicito al nazismo»165 hervorhebt, könnte mit der Realismus-Definition auch Auerbach selbst gemeint sein, der sich, nach wie vor seinem «prospettivismo critico»166 treu, der eigenen historischen Situation beim Verfassen von Mimesis nicht nur bewusst war, sondern diese Situation ins Buch einschrieb: «Der Glückliche konnte sich keine Staatsveränderung vorstellen, die nicht zur Erweiterung der Freiheit führte. Wir haben anderes gesehen.»167 Diese Preisgabe des erzählenden Ichs im wissenschaftlichen Text ist es, die Ginzburg interessiert und die er fortschreibt, indem er Auerbachs Voltaire-Lektüre durch flankierende Texte ergänzt, aber auch um eigene Eindrücke, wie die Entdeckung, dass auf amerikanische Geldscheinen «In God we trust» gedruckt ist. Am Schluss des Texts schildert Ginzburg, dass wenige Tage nach den Terroranschlägen auf das World Trade Center die New Yorker Börse wieder öffnete: «La razionalità e globalità del mercato finanziario sono state contrapposte al fanatismo settario dei fondamentalismi religiosi: un gesto in cui Voltaire si sarebbe riconosciuto con entusiasmo.»168 Ginzburg fragt sich, wie Auerbach auf diese Situation der Börsenöffnung nach einem terroristischen Anschlag reagiert hätte und kommt zu dieser Antwort: Auerbach hätte auch dieses Ereignis als eines von vielen einer langen linearen Geschichte erkannt: «Ai suoi occhi, l’intolleranza (come quella di cui era personalmente vittima) e la tolleranza contribuivano per vie opposte allo stesso risultato.»169

Ginzburg erkennt bei Auerbach ein Geschichtsverständnis, das er zwar nicht teilt, dem er gleichwohl wichtige Impulse verdankt.170 Einer davon ist der radikale Perspektivismus Auerbachs, auf dessen markanteste Eigenschaft Auerbach selbst nicht hingewiesen hat: Dieser Perspektivismus muss nicht unsichtbar sein. Im Gegenteil, es ist ein Akt von Ehrlichkeit, dem Leser durch die Signale, die Ginzburg in seiner Mimesis-Lektüre zitiert hat, anzudeuten, unter welchen Umständen der Historiker seinen Text geschrieben hat. Damit können auch implizite politische Stellungnahmen verbunden sein, die Auerbach sogar in die Nähe des «humanitären Elan[s] von Sartres ‹litterature engagée› bringt».171 Ginzburg hat den Aufsatz zu Auerbach und Voltaire nicht ohne Grund Adriano Sofri gewidmet, jenem ehemaligen Aktivisten der Lotta Continua, an dem sich sechzehn Jahre nach einem Mord, den er nicht begangen hatte, der Machtapparat der italienischen Justiz erprobt hat.172 Auch Sofri, zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Aufsatzes noch im Gefängnis, ist Opfer der Propaganda.

Ginzburgs potentiell politische Lesart Auerbachs widerspricht dem häufig vermittelten Bild des Romanisten als gediegenem, gelassenem Mann ohne größere Ambitionen politischer Meinungsbildung. Spätestens seit der Veröffentlichung der im Exil entstandenen und auf Türkisch publizierten Essays Auerbachs muss dieses Bild überprüft werden, denn mitunter sehr konkret geht Auerbach in diesen Texten auf die Entstehung der europäischen Katastrophe ein.173 Ginzburgs Auerbach-Interpretation könnte ein erster Schritt sein, diese Überprüfung historisch zu fundieren.

5. Die Anarchie des Gegenstands und der Wegweiser der Philologie

Mit Ginzburgs Auerbach-Lektüre wird ‹der Mensch› wieder zu dem, was er bei Vico ohnehin schon war, zum zoon politikon. Dieser Mensch als Forschungsgegenstand ist von Natur aus problematisch, die Wissenschaften, die ihn ins Zentrum stellen, haben mit nicht unerheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Vicos Scienza Nuova ist das lebhafteste Beispiel dafür. Einmal den Menschen und seine Handlungen im Blick der wissenschaftlichen Anstrengung, sind die tradierten rationalistischen Prinzipien Makulatur. Doch um sein Methoden-Instrumentarium so zu formen, dass sich ihm die reale Mannigfaltigkeit der (urzeitlichen) Realität fügt, braucht Vico Jahre und den Mut, die Disziplin, die er selbst als Professor vertritt, umzufunktionieren. Damit wird die Philologie zur historischen Humanwissenschaft. Auerbach nimmt den Begriff auf, als Ergänzung zu dem schon als problematisch geerbten Historismus. Für Ginzburg spielt der Begriff der Philologie keine große Rolle, außer wenn er über Vico schreibt.174 Doch implizit ist er auch bei ihm wirksam – Auerbach fungiert als Scharnier zwischen den Ideen Vicos und der Mikrogeschichte Ginzburgs. «The Vico road goes round and round to meet where terms begin.»175 Doch auch die Philologen, die nicht ganz an den Anfang der Menschheit zurückgehen, haben nach Strategien zu suchen, sich von der Gegenwart aus durch die Schichten der Vergangenheit zu arbeiten. «Il passato per Auerbach è una archeologia del presente.»176 Die Archäologen-Geste hat Auerbach von Vico mit dessen Idee der Philologie gelernt. Ginzburg, so könnte man sagen, übernimmt die Geste, aber nicht ihre Begründung; denn in Vicos Philologie-Begriff sind zweieinhalbtausend Jahre Theoriebildung enthalten, die sich mit dem Neugründungsanspruch der Mikrogeschichte nicht vertragen. Philologisch arbeitet Ginzburg dennoch, seine Begriffsstudien sind erkennbar von den Auerbach’schen beeinflusst und seine Mikro-Analysen orientieren sich formal an Mimesis.

In der Synopse dieser drei großen Philologen-Historiker ist deutlich geworden, dass Philologie zwar Wortliebe bedeutet, aber diese Definition den eigentlichen Inhalt des Faches verkleinert. Die Verstehende Philologie ist weniger eine Disziplin als «eine Auseinandersetzung mit einem Lebenswissen, das sich im Reich der Zeichen sprachlich äußert».177 Sie hat die Funktion der Sicherung des Bestands, der nach ausgesuchten Kriterien einzeln erfasst werden kann und stellt so das Menschenverstehen auf die Füße: philologia magistra vitae. Die Verstehende Philologie als Wissenschaft vom Menschen meint den betrachteten Menschen ebenso wie den Betrachter. Sie ist eine lebendige Disziplin, das Spiegelbild zu dem, was das neunzehnte Jahrhundert in ihr gesehen hat. Ihre Dynamik ergibt sich aus ihrem beweglichen Gegenstand. Deswegen wird auch hier kein Halten sein: «Jede Definition der Philologie muß sich indefinieren – und einer anderen Raum geben.»178

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  2. Marcel Lepper: Philologie zur Einführung. Hamburg: Junius 2012. S. 116.
  3. Erich Auerbach: Erich Auerbachs Briefe an Martin Hellweg (1939–1950). Edition und historisch-philologischer Kommentar, hg. v. Martin Vialon. Tübingen/Basel: Francke 1997. S. 34.
  4. Giambattista Vico: Vita di Giambattista Vico scritta da se medesimo. In: Ders.: Opere. Bd. I, hg. v. Andrea Battistini. Mailand: Mondadori 1990. S. 30. Zur Entstehungs- und Editionsgeschichte der Inaugural-reden vgl. Salvatore Monti: Sulla tradizione e sul testo delle orazioni inaugurali di Vico. Neapel: Guida 1977 [= Studi Vichiani 10].
  5. Vico: Vita scritta da se medesimo. S. 32.
  6. Giambattista Vico: «Oratio III». In: Ders.: Opere di Giambattista Vico, Bd. I: Le orazioni inaugurali I–VI, hg. v. Gian Galeazzo Visconti. Bologna: Il Mulino 1982. S. 142. («Du brüstest dich damit, Philologe, alles über die Gefäße und Kleider der Römer zu wissen […]. Woher dieser Stolz? Du weißt nicht mehr als ein Töpfer, Koch, Schuster, Bote oder Ausrufer in Rom gewusst hat.» Übers.: Alle Übersetzungen der lateinischen Zitate P. Sch.)
  7. Ebd.
  8. Giambattista Vico: De nostri temporis studiorum ratione. Prima redazione inedita dal ms. XIII B55 della Bibl. Naz. di Napoli. Indici e ristampa anastatica dell’edizione Napoli 1709, hg. v. Marco Veneziani. Florenz: Leo S. Olschki 2000. S. 351.
  9. Zum Hintergrund der Querelle im Neapel des achtzehnten Jahrhunderts vgl. Andrea Battistini: La sapienza retorica di Giambattista Vico. Mailand: Angelo Guerini e Associati 1995 [= Istituto Italiano per gli Studi Filosofici. Saggi 21]. S. 15–26. Battistini argumentiert zu diesem Zeitpunkt als einer von wenigen Vico-Philologen einleuchtend dafür, jede Schrift Vicos zu verstehen als eine «risposta a precisi e concreti problemi culturali dibattuti a Napoli» (ebd. S. 16). Die Wirklichkeit, auf die Vico mit seiner Philologie zugreifen möchte, ist nicht nur eine vergangene.
  10. Francesco De Sanctis: Storia della letteratura italiana. Volume secondo. In: Ders.: Opere, hg. v. Carlo Muscetta. Turin: Einaudi 1951ff. Bd. IX, hg. v. Niccolò Gallo. 3. Aufl. Turin: Einaudi 1966. S. 819.
  11. Stephan Otto: Giambattista Vico. Grundzüge seiner Philosophie. Stuttgart/Berlin/Köln: W. Kohlhammer 1989. S. 58.
  12. Vico: De nostri temporis studiorum ratione. S. 354.
  13. Ebd. («Zuerst stellen sie [die Kritiker] ihr Wahres auf.»)
  14. Ebd. («Auch dürfen die ingenia für die Künste, die ihre Kraft aus Phantasie, Gedächtnis oder beidem schöpfen, wie Malerei, Dichtung, Redekunst oder Jurisprudenz, nicht abgestumpft werden […].»)
  15. Ebd. S. 356. («Daher sind beide Methoden der Dialektik mangelhaft: die der Topiker, weil sie oft nach dem Falschen greifen; die der Kritiker, weil sie auch das Wahrscheinliche nicht aufnehmen.»)
  16. Hans-Georg Gadamer hat die Mittelposition Vicos klar erkannt: «Die kritische Wissenschaft der Neuzeit wird von Vico in ihren Vorzügen nicht bestritten, sondern in ihre Grenzen gewiesen.» (Hans-Georg Gadamer: Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik. In: Ders.: Gesammelte Werke. Tübingen: Mohr Siebeck 1985ff. Bd. 1: Hermeneutik I. 7. Aufl. Tübingen: Mohr Siebeck 2010 [zuerst 1960]. S. 26.)
  17. Vico: De nostri temporis studiorum ratione. S. 357. («Das Geometrische beweisen wir, weil wir es produzieren; wenn wir das Physikalische beweisen könnten, würden wir es produzieren.»)
  18. Ebd. S. 394. («Denn das Dünne ist nicht dasselbe wie das Scharfe: Das Dünne besteht nämlich aus einer Linie, das Scharfe aus zweien.»)
  19. Giambattista Vico: De Antiquissima Italorum Sapientia. Con le Risposte al «Giornale de’ Letterati d’Italia. In: Ders.: Opere. Bd. IV, hg. v. Vincenzo Placella. Rom: Edizioni di Storia e Letteratura 2020. S. 74. («Das ingenium ist die Fertigkeit, Verstreutes und Verschiedenes in einem zusammenzufassen […].»)
  20. Vico: De nostri temporis studiorum ratione. S. 359.
  21. Die Topik-Definition der Institutiones steht zwar zu der in De ratione entwickelten nicht im Widerspruch, geht jedoch nicht über den konventionellen Topik-Begriff der Schul-Rhetorik hinaus: «Locos dialecticis et oratoribus communes commonstrat ars topica: quae proinde definitur ‹ars inveniendi argumenta in quavis proposita quaestione.›» (Giambattista Vico: Institutiones Oratoriae, hg. v. Giuliano Crifò. Neapel: Istituto Suor Orsols Benincasa 1989. S. 50.) («Die Topik zeigt den Dialektikern und Rednern die Gemeinplätze: Diese wird also definiert als ‹die Kunst, Argumente zu finden in jeder beliebigen Frage›.»)
  22. Ernesto Grassi: Rhetoric as Philosophy. The Humanist Tradition. University Park/London: The Pennsylvania State University Press 1980. S. 35.
  23. Vgl. Tullio De Mauro: «Giambattista Vico: From Rhetoric to Linguistic Historicism». In: Giambattista Vico. An International Symposium, hg. v. Giorgio Tagliacozzo u. Hayden White. Baltimore: The Johns Hopkins Press 1969. S. 293.
  24. Giambattista Vico: Diritto Universale. In: Ders.: Opere. Bd. V, hg. v. Marco Veneziani. Rom: Edizioni de Storia e Letteratura 2019. S. 222. («Was ist die Philologie? Sie besteht aus zwei Teilen. Die Philologie ist nämlich die Beschäftigung mit der Sprache und die Betrachtung, die sich auf die Wörter richtet und deren Geschichte überliefert, indem sie ihre [der Wörter] Ursprünge und Entwicklung erzählt; und auf diese Weise teilt sie die Sprachen nach ihren Epochen ein, um deren Eigenschaften, Übertragungen und Verwendungen herauszufinden. Doch, weil allen Wörtern Vorstellungen der Dinge anhaften, ist die Aufgabe der Philologie zuerst einmal, über die Geschichte der Dinge zu verfügen. Daher schreiben die Philologen mit vollem Recht Kommentare über die öffentlichen Sachen, die Bräuche, Gesetze, Einrichtungen, Lehren und Erzeugnisse der Stämme und Völker. Mit Fleiß behandeln sie die Epigraphik, Numismatik und Zeitmessung und fördern so gewichtige Zeugnisse der Vorzeit zutage; und all dies, um verstehen können, was die Schriftsteller der gelehrten Redeweisen (seien es Redner, Philosophen, ja auch Historiker und vor allem Dichter) sagen; der Staat zieht daraus größten Nutzen: die Möglichkeit, die alte Sprache der Religion und der Gesetze zu verstehen.»)
  25. Ebd. S. 222f.
  26. Ebd. S. 69.
  27. Ebd. S. 222. («Die Philosophie sichert die Beständigkeit des Intellekts; sehen wir zu, dass die Philologie die Beständigkeit der Autorität sichert.»)
  28. Ebd. S. 247. («dass die Dichter die ersten Gründer der öffentlichen Dinge gewesen sind.»)
  29. Ebd. S. 231.
  30. Peter König: Giambattista Vico. München: C. H. Beck 2005. S. 92.
  31. Die bemerkenswerte Ausnahme macht Jean Le Clerc, der das Werk aus der Perspektive eines für eine radikale Bibelkritik eintretenden Reformtheologen bewertete. Trotz der obscurité, die er an Vicos Text kritisiert, entdeckt er im Diritto Universale einige für die Philologie valide Punkte, zumal deren historische Ausrichtung, die auch nicht-textuelle kulturelle Artefakte berücksichtige: «Aussi Mr. Del Vico fait le bien voir, dans la suite, que la Philologie ne regarde pas moins le choses, que le paroles.» (Jean Le Clerc: [Rezension zu De universi iuris uno principio et fine uno und De constantia jurisprudentis]. In: Bibliothèque ancienne et moderne 18 (1722). S. 429.) Vgl. dazu und zum Verhältnis der beiden Philologie-Theoretiker Mario Sina: Vico e Le Clerc. Tra filosofia e filologia. Neapel: Guida 1978 [= Studi Vichiani 12].
  32. David L. Marshall: Vico and the Transformation of Rhetoric in Early Modern Europe. New York: Cambridge University Press 2010. S. 169.
  33. Ich folge dabei dem Ansatz von Amadeu Viana, der die Definitions-Ansätze als sich gegenseitig erhellende Aspekte einer großen Geisteswissenschaft gesehen hat, ohne jedoch die Konsequenz zu ziehen, dass auch die unterschiedlichen Standortbestimmungen der neuen Wissenschaft auf dem Fundament der Philologie basieren. Vgl. Amadeu Viana: «‹Ahora empieza la historia›: Interdependencia y géneros difusos en G. B. Vico». In: Pensar para un nuevo siglo. G. B. Vico y la cultura europea. Volumen III: El pensamiento hispánico y propuestas viquianas para el nuevo siglo, hg. v. Emilio Hidalgo-Serna u. a. Neapel: La Città del Sole 2001. S. 1149–1166.
  34. Giambattista Vico: La Scienza Nuova 1744. In: Ders.: Opere. Bd. IX, hg. v. Paolo Cristofolini u. Manuela Sanna. Rom: Edizioni di Storia e Letteratura 2013. S. 92.
  35. Vico: Scienza Nuova 1744. S. 93.
  36. Ebd. S. 94.
  37. Ebd.
  38. Ebd.
  39. Ebd.
  40. Ebd. S. 62.
  41. Ebd.
  42. Ebd. S. 63.
  43. Ebd.
  44. John D. Schaeffer: Sensus communis. Vico, Rhetoric, and the Limits of Relativism. Durham/London: Duke University Press 1990. S. 84.
  45. Heinz Schlaffer: Poesie und Wissen. Die Entstehung des ästhetischen Bewußtseins und der philologischen Erkenntnis. Erweiterte Ausgabe. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2005 [zuerst 1990]. S. 184. Dass damit auch ein Missverständnis verbunden sein konnte, hat Jürgen Trabant in einer jüngeren Intervention gezeigt. Vicos neue Wissenschaft bezieht sich auf das historische Verständnis von Kulturen, nicht aber auf einzelne kulturelle Produktionen. Wenn Vico über Homers und Vergils Epen schreibt, tut er das nicht, um einzelne Stellen zu interpretieren, sondern um Gesetzmäßigkeiten eines geschichtlichen Ablaufs zu illustrieren. Vgl. Jürgen Trabant: «Sechs unzeitgemäße Bemerkungen über Vico». In: Bollettino del Centro di Studi Vichiani 48 (2018). S. 129–139.
  46. Andreas Urs Sommer: Sinnstiftung durch Geschichte? Zur Entstehung spekulativ-universalistischer Geschichtsphilosophie zwischen Bayle und Kant. Basel: Schwabe 2006. S. 386.
  47. Maeve Edith Albano: Vico and Providence. New York: Peter Lang 1986 [= Emory Vico Studies 1]. S. 21.
  48. Vico: Scienza Nuova 1744. S. 87.
  49. Vico: De Antiquissima. S. 12. («Für die Lateiner sind die Begriffe des Wahren und des Gemachten austauschbar, oder, wie gemeinhin im Gebrauch der Schulen gesagt wird, konvertibel […].»)
  50. Ebd. S. 14.
  51. Vicos Grundsatz fußt auf Aussagen der scholastischen Theologie, wie Karl Löwith in seinem klassischen Beitrag dargelegt hat. Ferner zeigt er, dass eine Autonomie des Menschen in der Geschichte auch deshalb nicht impliziert sein kann, da diese Autonomie nur dem Schöpfergott zukommt, was sich in einer jeweils eigenen Terminologie zeigt. Gott ordnet und erzeugt (disponit ac gignit); der Mensch stellt zusammen und macht (componit ac facit). Vgl. Karl Löwith: Vicos Grundsatz: verum et factum convertuntur. Seine theologische Prämisse und deren säkulare Konsequenzen. Heidelberg: Carl Winter 1968.
  52. Vico: Scienza Nuova 1744. S. 118.
  53. Hans Blumenberg: Die Lesbarkeit der Welt. 11. Aufl. Berlin: Suhrkamp 2020 [zuerst 1981]. S. 173.
  54. Vgl. Vincenzo Ferrone: Scienza natura religione. Mondo newtoniano e cultura italiana nel primo Settecento. Neapel: Jovene 1982 [= Storia e diritto 9]. S. 457–465.
  55. Vico: Scienza Nuova 1744. S. 63.
  56. Pietro Piovani: «Vico e la filosofia senza natura». In: Ders.: La filosofia nuova di Vico, hg. v. Fulvio Tessitore. Neapel: Morano 1990. S. 81.
  57. Ebd. S. 68.
  58. Vgl. dazu das Kapitel «Certum pars veri? La Scienza Nuova tra mathesis universalis e lingua eroica» in Vincenzo Vitiello: Vico. Storia, linguaggio, natura. Rom: Edizioni di Storia e Letteratura 2008 [= Studi Vichiani. Nuova serie 47]. S. 23–35.
  59. Vico: Scienza Nuova 1744. S. 63.
  60. Ebd.
  61. Giambattista Vico: La Scienza Nuova. Giusta l’edizione del 1744 con le varianti dell’edizione del 1730 e di due redazioni intermedie inedite e corredata di note storiche. Parte prima, hg. v. Fausto Nicolini. Bari: Laterza 1911. S. 122. Ich zitiere hier nach der dreibändigen Ausgabe, die Auerbach zur Übersetzung verwendet hat.
  62. Giambattista Vico: Die neue Wissenschaft über die gemeinschaftliche Natur der Völker. Nach der Ausgabe von 1744 übersetzt und eingeleitet von Erich Auerbach. 2. Aufl. m. einem Nachwort von Wilhelm Schmidt-Biggemann. Berlin/New York: De Gruyter 2000 [zuerst 1924]. S. 81.
  63. Vico: Scienza Nuova 1744 (I), hg. v. Fausto Nicolini. S. 122.
  64. Vico: Die neue Wissenschaft. Übers. v. Erich Auerbach. S. 81.
  65. Vgl. Jörg Fisch: «Zivilisation, Kultur». In: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hg. v. Otto Brunner, Werner Conze u. Reinhart Koselleck. Bd. 7: Verw–Z. Stuttgart: Klett-Cotta 1978. S. 679–774.
  66. Ebd. S. 724.
  67. Gisela Schlüter: «Zur historischen Semantik von civile-civilizzazione/coltura-civico». In: Beiträge zur Begriffsgeschichte der italienischen Aufklärung im europäischen Kontext, hg. v. Helmut C. Jacobs u. Gisela Schlüter. Frankfurt am Main: Peter Lang 2000 [= Europäische Aufklärung in Literatur und Sprache 12]. S. 68.
  68. In der folgenden Gegenüberstellung verweisen die Seitenzahlen in Klammern auf diese Ausgaben: Vico: Scienza Nuova 1744 (I), hg. v. Fausto Nicolini und Vico: Die neue Wissenschaft über die gemeinschaftliche Natur der Völker. Übers. v. Erich Auerbach. Die Unterstreichungen in Auerbachs Text entsprechen dem «civile» Vicos und stammen sämtlich von mir, P. Sch.
  69. Zu einer eigenen Variante findet Wilhelm Ernst Weber. Dieselbe Stelle übersetzt der Gymnasialprofessor aus Wetzlar so: «eine rationale bürgerthümliche Theologie der göttlichen Vorsehung». (Giambattista Vico: Grundzüge einer Neuen Wissenschaft über die gemeinschaftliche Natur der Völker. Übers. v. Wilhelm Ernst Weber. Leipzig: F. A. Brockhaus 1822. S. 2.) Bei Weber wird der Bürger-Begriff der Restaurationszeit stark, bei Auerbach die Prägung durch den Historismus.
  70. Schlüter: «Zur historischen Semantik von civile-civilizzazione/coltura-civico». S. 73.
  71. Ebd.
  72. Erich Auerbach: «Sprachliche Beiträge zur Erklärung der Scienza nuova von G. B. Vico» [zuerst 1937]. In: Ders.: Gesammelte Aufsätze zur romanischen Philologie, hg. u. ergänzt um Aufsätze, Primärbibliographie und Nachwort v. Matthias Bormuth u. Martin Vialon. Tübingen: Narr Francke Attempto 2018 [zuerst 1967]. S. 244. Den Band zitiere ich im Folgenden unter der Sigle GesA.
  73. Ebd. S. 246.
  74. Ebd.
  75. Ebd.
  76. Ebd. S. 247.
  77. Ebd. S. 243.
  78. Erich Auerbach: «Einleitung. Über Absicht und Methode». In: Ders.: Literatursprache und Publikum in der lateinischen Spätantike und im Mittelalter. S. 18.
  79. Erich Auerbach: «Vicos Auseinandersetzung mit Descartes». In: Ders.: GesA. S. 363.
  80. Ebd. S. 364.
  81. Ebd. S. 368.
  82. Erich Auerbach: «Giambattista Vico». In: Ders.: GesA. S. 377.
  83. Erich Auerbach: «Vorrede des Übersetzers». In: Vico: Die neue Wissenschaft. Übers. v. Erich Auerbach. S. 12.
  84. Auerbach: «Vorrede des Übersetzers». S. 27.
  85. Ebd. S. 30.
  86. Vgl. Timothy Bahti: «Vico, Auerbach and Literary History». In: Philological Quarterly 60 (1981). S. 249–251.
  87. Dass Auerbach selbst differenzierbare Phasen seines Vico-Verständnisses wahrgenommen hat, zeigt sich darin, dass er einer potentiellen Neuauflage seiner Übersetzung der Scienza Nuova ein neues Vorwort voranstellen wollte. Der Text wurde posthum veröffentlicht. Martin Vialon: «Erich Auerbach: Philologie als kritische Kunst. Neue Einleitung zur Scienza Nuova (1947). Edition, Kommentar und Nachwort». In: Vico in Europa zwischen 1800 und 1950, hg. v. Peter König. Heidelberg: Winter 2013. S. 223–319.
  88. Zu den beiden Phasen der Vico-Rezeption Auerbachs vgl. Stefanie Woidich: Vico und die Hermeneutik. Eine rezeptionsgeschichtliche Annäherung. Würzburg: Königshausen & Neumann 2007 [= Epistemata 422]. S. 209–214.
  89. Erich Auerbach: «Giambattista Vico und die Idee der Philologie». In: Ders.: GesA. S. 229.
  90. Ebd. S. 227.
  91. Ebd. S. 229. Dieser partikulare Aspekt Vicos fließt in den kurz danach entstandenen «Figura»-Aufsatz mit ein: «Außer den eben besprochenen allegorischen gibt es noch andere Formen der Darstellung eines Dinges durch das andere, die man mit der figuralen Prophetie vergleichen könnte: nämlich die sogenannten symbolischen oder mythischen Formen […]. Das Kennzeichnende dieser Formen [wurde] zuerst von Vico erkannt und beschrieben […].» (Erich Auerbach: «Figura». In: Mimesis und Figura. Mit einer Neuausgabe des «Figura»-Aufsatzes von Erich Auerbach, hg. v. Friedrich Balke und Hanna Engelmeier. 2. Aufl. München: Wilhelm Fink 2018 [= Medien und Mimesis 1]. S. 167.)
  92. Auerbach: «Giambattista Vico und die Idee der Philologie». In: Ders.: GesA. S. 230.
  93. Ebd.
  94. Vico: Scienza Nuova 1744. S. 90.
  95. Auerbach: «Giambattista Vico und die Idee der Philologie». In: Ders.: GesA. S. 231.
  96. Ebd. S. 232.
  97. Ebd. S. 233f.
  98. Ebd. S. 234.
  99. Ebd.
  100. Erich Auerbach: «Vico und Herder». In: Ders.: GesA. S. 225.
  101. Erich Auerbach: «Philologie der Weltliteratur». In: Ders.: GesA. S. 292.
  102. Ebd. S. 297.
  103. Ebd.
  104. Ebd.
  105. Auerbach: «Einleitung. Über Absicht und Methode». In: Ders.: Literatursprache und Publikum in der lateinischen Spätantike und im Mittelalter. S. 11.
  106. Ebd. S. 13.
  107. Ebd. S. 12.
  108. Ebd. S. 18.
  109. Ebd. S. 19.
  110. Ebd.
  111. Vgl. dazu Otto Gerhard Oexle: Geschichtswissenschaft im Zeichen des Historismus. Studien zu Problemgeschichten der Moderne. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1996 [Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 116]. S. 41–45.
  112. Ernst Troeltsch: Der Historismus und seine Probleme. In: Ders.: Kritische Gesamtausgabe, hg. v. Friedrich Wilhelm Graf. Berlin/New York: De Gruyter 1998ff. Bd. 16. Teilband 1: Der Historismus und seine Probleme. Erstes Buch: Das logische Problem der Geschichtsphilosophie, hg. v. Friedrich Wilhelm Graf. Berlin/New York 2008 [zuerst 1922]. S. 176f.
  113. Vgl. Jörn Rüsen: Geschichte denken. Erläuterungen zur Historik. Wiesbaden: Springer 2020. S. 62–67.
  114. Tatsächlich gibt es eine diskrete Vico-Rezeption bei den Hauptvertretern des deutschen Historismus, die ihre Wurzeln bei den Vico-Lesern Friedrich Heinrich Jacobi und Friedrich August Wolf hat. Vgl. Fulvio Tessitore: «Vico nelle origini del storicismo tedesco». In: Bollettino del Centro di Studi Vichiani 9 (1979). S. 5–34.
  115. Vialon: «Erich Auerbach: Philologie als kritische Kunst». S. 241.
  116. Auerbach: «Einleitung. Über Absicht und Methode». In: Ders.: Literatursprache und Publikum in der lateinischen Spätantike und im Mittelalter. S. 10.
  117. Ebd. S. 12.
  118. Erich Auerbach: «Epilegomena zu Mimesis». In: Romanische Forschungen 65 (1954). S. 17f.
  119. Ebd. In «Vico und der Volksgeist» führt Auerbach den Begriff des historischen Relativismus bzw. Perspektivismus als Erbe Vicos ein. Vgl. Auerbach: «Vico und der Volksgeist». In: Ders.: GesA. S. 239.
  120. Erich Auerbach: Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur. 11. Aufl. Tübingen: Narr Francke Attempto 2015 [zuerst 1946]. S. 33.
  121. Ebd. S. 47.
  122. Auerbach: «Einleitung. Über Absicht und Methode». In: Ders.: Literatursprache und Publikum in der lateinischen Spätantike und im Mittelalter. S. 20.
  123. Ebd. S. 24.
  124. So der Titel einer Vorstudie zu Mimesis. Vgl. Erich Auerbach: «Über die ernste Nachahmung des Alltäglichen». In: Erich Auerbach. Geschichte und Aktualität eines europäischen Philologen, hg. v. Karlheinz Barck u. Martin Treml. Berlin: Kadmos 2007. S. 439–465.
  125. Hayden White: «Auerbach’s Literary History. Figural Causation and Modernist Historicism». In: Ders.: Figural Realism. Studies in the Mimesis Effect. Baltimore/London: The Johns Hopkins University Press 1999. S. 88.
  126. Largier führt als Kritikpunkt an Whites geschichtsphilosophischer Deutung der figura Auerbachs Betonung ihres sinnlichen Charakters an, der sich nicht in eine abstrakte Deutung binden lasse. Er beruft sich dabei auch auf Auerbachs Vico-Lektüre, in der er Vicos Darstellung der sinnlichen Ursprache aus Gebärdenzeichen hervorhebt. Ich gehe davon aus, dass Auerbachs figura-Begriff weit genug ist, um sowohl den rhetorisch-abstrakten Begriff der Geschichtsphilosophie als auch den sinnlichen integrieren zu können, zumal Vico an der von Largier via Auerbach angeführten Stelle nicht von «figure» spricht, sondern von «cenni» oder «simboli». Vgl. Niklaus Largier: «Zwischen Ereignis und Medium. Sinnlichkeit, Rhetorik und Hermeneutik in Auerbachs Konzept der figura». In: Figura. Dynamiken der Zeiten und Zeichen im Mittelalter, hg. v. Christian Kiening u. Katharina Mertens Fleury. Würzburg: Königshausen & Neumann 2013 [= Philologie der Kultur 8]. S. 51–70.
  127. Dieses Verfahren des «kontinuierlichen Vergleichen[s] und Differenzieren[s]» stellt Schulz-Buschhaus ins Zentrum von Auerbachs Methode. (Ulrich Schulz-Buschhaus: «Auerbachs Methode». In: Lingua et Traditio. Geschichte der Sprachwissenschaft und der neueren Philologien. Festschrift für Hans Helmut Christmann zum 65. Geburtstag, hg. v. Richard Baum u. a. Tübingen: Gunter Narr 1994. S. 602.)
  128. Auerbach: «Einleitung. Über Absicht und Methode». In: Ders.: Literatursprache und Publikum in der lateinischen Spätantike und im Mittelalter. S. 14.
  129. Hans Ulrich Gumbrecht: «Was Erich Auerbach für eine ‹Philologische Frage› hielt». In: Was ist eine philologische Frage?, hg. v. Jürgen Paul Schwindt. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2009. S. 277.
  130. Gottfried Gabriel: «Fact, Fiction and Fictionalism. Erich Auerbach’s Mimesis in Perspective». In: Mimesis. Studien zur literarischen Repräsentation. Studies on Literary Representation, hg. v. Bernhard F. Scholz. Tübingen: Francke 1998. S. 33.
  131. Ginzburg scheint der einzige der Mikrohistoriker zu sein, der in seinen Texten wenige, aber explizite Nennungen Auerbachs platziert. Das steht in einer gewissen Schräglage zu den Geschichtswissenschaftlern, die sich retrospektiv mit der Mikrogeschichte befassten und in Auerbachs Mimesis ein Vorbild jener «Monaden-Idee» finden, die den Konzepten von Mikrogeschichte gemeinsam ist. Vgl. Otto Gerhard Oexle: «Nach dem Streit. Anmerkungen über ‹Makro-› und ‹Mikrohistorie›». In: Rechtshistorisches Journal 14 (1995). S. 191–200. Ebenso Matti Peltonen, der als mögliche Quellen der frühen Mikrogeschichte neben Auerbach auch Michel de Certeau und Walter Benjamin anbringt: «Clues, Margins and Monads: The Micro-Macro Link in Historical Research». In: History and Theory 40 (2001). S. 347–359.
  132. Carlo Ginzburg: «Latitude, Slaves and the Bible: An Experiment in Microhistory». In: Critical Inquiry 31 (2005). S. 665.
  133. Ebd.
  134. Auerbach: Mimesis. S. 514.
  135. Ginzburg: «Latitude, Slaves and the Bible». S. 666.
  136. Ebd. S. 679.
  137. Ebd. S. 682f.
  138. So wurde der Aufsatz auch rezipiert, vgl. Otto Ulbricht: «Divergierende Pfade der Mikrogeschichte. Aspekte der Rezeptionsgeschichte». In: Im Kleinen das Große suchen. Mikrogeschichte in Theorie und Praxis, hg. v. Ewald Hiebl u. Ernst Langthaler. Innsbruck: Studienverlag 2012. S. 24–27.
  139. Carlo Ginzburg: Il formaggio e i vermi. Il cosmo di un mugnaio del ’500. Mailand: Adelphi 2019. S. 197.
  140. Ginzburg: Il formaggio e i vermi. S. 9.
  141. Ebd. S. 42.
  142. Ich beziehe mich bei der Verwendung des Begriffs auf Ginzburgs eigene Definition als «oscillazione tra sostituzione ed evocazione mimetica», bei deren Herleitung auch Auerbachs «figura»-Aufsatz eine Rolle spielte. (Carlo Ginzburg: «Rappresentazione. La parola, l’idea, la cosa». In: Ders.: Occhiacci di legno. Dieci riflessioni sulla distanza. Macerata: Quodlibet 2019. S. 89.)
  143. Vgl. Lawrence Stone: «The Revival of Narrative: Reflections on a New Old History». In: Past & Present 85 (1979). S. 3–24.
  144. Carlo Ginzburg u. Carlo Poni: «Il nome e il come: scambio ineguale e mercato storiografico». In: Quaderni storici 14 (1979). S. 182.
  145. Vgl. Otto Ulbricht: Mikrogeschichte. Menschen und Konflikte in der Frühen Neuzeit. Frankfurt am Main/New York: Campus 2009. S. 9–15.
  146. Ginzburg/Poni: «Il nome e il come». S. 183.
  147. Ebd.
  148. Ginzburg: Il formaggio e i vermi. S. XIX.
  149. Lutz Raphael: Geschichtswissenschaft im Zeitalter der Extreme. Theorien, Methoden, Tendenzen von 1900 bis zur Gegenwart. 2. Aufl. München: C. H. Beck 2010. S. 185.
  150. Ginzburg/Poni: «Il nome e il come». S. 186.
  151. Edoardo Grendi: «Micro-analisi e storia sociale». In: Quaderni storici 12 (1977). S. 512.
  152. Ginzburg: Il formaggio e i vermi. S. 157.
  153. Carlo Ginzburg: «Spie. Radici di un paradima indiziario». In: Ders.: Miti, emblemi, spie. Morfologia e storia. Turin: Einaudi 1986. S. 165.
  154. Ebd. S. 167.
  155. Carlo Ginzburg: «Microstoria: due o tre cose che so di lei». In: Quaderni storici 29 (1994). S. 522.
  156. Damit reagierte Ginzburg rückwirkend auch auf einen Kritikpunkt an Il formaggio e i vermi, den am deutlichsten Dominick LaCapra vertreten hatte. Große Teile des Buchs beziehen ihre Deutung aus der Diskrepanz zwischen der exzentrischen Lektüre Menocchios etwa von Teilen der Bibel und dem ‹eigentlichen› Inhalt dieser Schriften. Der Raum, den Ginzburg zwischen diesen beiden Polen aufmacht, ist der Schauplatz der oralen Kultur, die er an Menocchio nachweisen möchte. Doch die ‹eigentliche› Lektüre, auf der sich die Argumentation stützt, ist seine eigene. LaCapra bemängelt die fehlende Bewusstmachung dieser Perspektive. Vgl. Dominick LaCapra: History & Criticism. Ithaca/London: Cornell University Press 1985. S. 45–69.
  157. Ginzburg: «Microstoria: due o tre cose che so di lei». S. 531.
  158. Vgl. David D. Roberts: «What Is Living and What Is Dead? Ginzburg’s Microhistory, Croce’s Historicism, and the Search for a Postmodern Historiography». In: Ders.: Historicism and Fascism in Modern Italy. Toronto: University of Toronto Press 2007. S. 221–236.
  159. Vgl. Ginzburg: «Microstoria: due o tre cose che so di lei». In: Quaderni storici 29 (1994). S. 523.
  160. Im letzten Kapitel führt Auerbach die Anlage des Buches selbst auf die Schreibweise des modernen Romans zurück, den er in diesem Kapitel an Proust und Woolf erläutert hat.
  161. Vgl. Thomas Kroll: «Die Anfänge der microstoria. Methodenwechsel, Erfahrungswandel und transnationale Rezeption in der europäischen Historiographie der 1970er und 1980er Jahre». In: Perspektiven durch Retrospektiven. Wirtschaftsgeschichtliche Beiträge. Festschrift für Rolf Walter zum 60. Geburtstag, hg. v. Jeanette Granda u. Jürgen Schreiber. Köln/Weimar/Wien: Böhlau 2013. S. 271–273.
  162. Auerbach: Mimesis. S. 376.
  163. Ebd. S. 379.
  164. Carlo Ginzburg: «Tolleranza e commercio. Auerbach legge Voltaire». In: Ders.: Il filo e le tracce. Vero falso finto. 2. Aufl. Mailand: Feltrinelli 2018. S. 113.
  165. Ebd.
  166. Ebd. S. 114.
  167. Auerbach: Mimesis. S. 379.
  168. Carlo Ginzburg: «Tolleranza e commercio». In: Ders.: Il filo e le tracce. Vero falso finto. S. 136.
  169. Ebd. S. 137.
  170. Mit dem kurz darauf entstandenen zweiten Aufsatz, in dem Ginzburg Auerbachs radikalen Perspektivismus behandelt, bestätigt er die im ersten Aufsatz aufgeworfenen Thesen im Wesentlichen, diesmal anhand einer Stendhal-Lektüre. Vgl. Carlo Ginzburg: «L’aspra verità. Una sfida di Stendhal agli storici». In: Ders.: Il filo e le tracce. Vero falso finto. S. 167–184.
  171. Schulz-Buschhaus: «Auerbachs Methode». In: Lingua et Traditio. Geschichte der Sprachwissenschaft und der neueren Philologien. Festschrift für Hans Helmut Christmann zum 65. Geburtstag, hg. v. Richard Baum u. a. S. 594.
  172. Ginzburg widmete dem Fall ein ganzes Buch: Il giudice e lo storico. Considerazioni in margine al processo Sofri. Macerata: Quodlibet 2020.
  173. Vgl. Erich Auerbach: Kultur als Politik. Aufsätze aus dem Exil zur Geschichte und Zukunft Europas (1938–1947), hg. v. Christian Rivoletti, aus d. Türkischen übers. v. Chirstoph Neumann. Konstanz: Konstanz University Press 2014.
  174. Vgl. Carlo Ginzburg: «Microhistory and world history». In: The Cambridge World History. Vol. 6: The Construction of a Global World, 1400–1800 CE. Part 2: Patterns of Change, hg. v. Jerry H. Bentley u. a. Cambridge: Cambridge University Press 2015. S. 446–473.
  175. James Joyce: Finnegans Wake. London: Penguin Books 2000. S. 452.
  176. Romano Luperini: «Metodo e utopia in Mimesis». In: La rappresentazione della realtà. Studi su Erich Auerbach, hg. v. Riccardo Castellana. Rom: Artemide 2009. S. 74.
  177. Ottmar Ette: ÜberLebenswissen. Die Aufgabe der Philologie. Berlin: Kadmos 2004. S. 57.
  178. Werner Hamacher: Was zu sagen bleibt. Für – die Philologie. 95 Thesen zur Philologie. Schupfart: Engeler 2019. S. 56.