Rezensionen

Michela di Macco (a cura di): Natura e artificio nell’Europa del Seicento e Settecento. Artisti, conoscitori e scienziati tra osservazione, invenzione e diffusione del sapere
Firenze: Leo Olschki Editore 2023

Franca Janowski

Michela di Macco (a cura di): Natura e artificio nell’Europa del Seicento e Settecento. Artisti, conoscitori e scienziati tra osservazione, invenzione e diffusione del sapere. Firenze: Leo Olschki Editore 2023, xii–254 pp. con 51 fig., Euro 35,-, ISBN: 978-8822268778

Der Band ist im Rahmen des Forschungsprojekts Antico e Moderno von Giuseppe Dardanelli und Michela Macco entstanden, das die Fondazione 1563 per l’Arte e Cultura der Compagnia di San Paolo ins Leben gerufen hat. Die Aufsätze wurden von Stipendiatinnen und Stipendiaten der Stiftung verfasst. Aus dieser Prämisse erklärt sich die thematische und methodische Vielfalt, mit der das Thema «natura e artificio» sowohl hinsichtlich der Theoriegeschichte als auch der Praxis in Angriff genommen wurde.

Neben fachspezifischen Beiträgen, die spezielle Vorkenntnisse erfordern, verschaffen andere einen unmittelbaren Einblick in historische Zusammenhänge. Literarische und soziokulturelle Entwicklungen in Italien, aber auch in England und Frankreich werden beleuchtet, historische Zäsuren sichtbar. Das zentrale Thema «natura e artificio» wird facettenreich behandelt. Dabei wird ein differenzierter und oft überraschender Ausblick geboten, der die übliche Periodisierung hinterfragt.

Kulturgeschichtlich aufschlussreich erscheinen mir jene Texte, welche die Besonderheit der historischen Position Italiens im Dialog mit Frankreich und England ausarbeiten. Die fokussierte Zeit, die die Jahrzehnte zwischen dem Ende des Seicento und der Mitte des Settecento umfasst – jenen Jahrhunderten, die mit den Begriffen Barock und Aufklärung nur vereinfachend beschrieben werden können –, eröffnet Perspektiven, die das Phänomen der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen ans Licht bringen. Diese Strategie ermöglicht es, eine Kontinuität zwischen Epochen an Stellen sichtbar zu machen, an denen oft Brüche wahrgenommen werden. Besonders drei Texte scheinen mir in dieser Hinsicht erhellend: die Aufsätze von Enrico Zucchi, Elisa Spataro und Giovanni Santucci. Auf diese werde ich im Folgenden besonders eingehen, aber auch die anderen Texte kurz vorstellen. Knappe Profile aller Autorinnen und Autoren sind ebenfalls im Band enthalten.

Enrico Zucchis Essay «La Bellezza in Arcadia. Un percorso tra estetica e storia della critica letteraria» widmet sich der Reflexion über das Schöne in der Accademia dell’Arcadia. Es werden dabei insbesondere literarische Texte von Giovanni Mario Crescimbeni, deren erstem custode, herangezogen, die darauf zielen, die These der chronischen Verspätung der italienische Ästhetik gegenüber modernen Theorien zu widerlegen. Bekanntlich lastet auf der Arcadia das Vorurteil, Erzeugerin einer affektierten und kraftlosen Poesie zu sein und vor allem eine antiquierte Ästhetik zu vertreten. Dieses Urteil möchte Zucchi revidieren:

Il presente contributo intende esaminare con maggior attenzione la grammatica della bellezza che gli scrittori italiani tra fine Seicento e primo Settecento si impegnano a forgiare, per provare a mettere meglio a fuoco lo statuto dell’estetica arcadica e a situare diversamente la sua posizione rispetto al contesto europeo contemporaneo. (S. 2)

Der deutsche Leser vermisst vielleicht in diesem ripensamento einen Hinweis auf Baumgarten, dem die Philosophie die Einführung des Begriffs der Ästhetik in die Diskussion der Moderne verdankt. Die Aufmerksamkeit Zucchis gilt aber vor allem der französischen Szene (Du Bos, Batteux, Crousaz). Crescimbenis poetisches Werk und vor allem die kritische Schrift Della bellezza della volgar poesia (1698) ist Gegenstand einer sorgfältigen Interpretation, die eine neue Perspektive eröffnet, als deren Fazit er zusammenfasst: Die Frage über den Status der Schönheit, ob sie sich im Subjekt oder im Objekt zeigt, wird trotz zahlreicher genialer Intuitionen immer noch in traditionellem Sinn gelöst. Crescimbenis Ästhetik bleibt «precettistica», also auf Regeln basiert. Für Crescimbeni gilt wie für Crousaz:

Anche nelle sue pagine vibra quella stessa ambiguità tra relatività e assolutezza del bello, che soltanto a partire dalla metà del Settecento, con le opere di Diderot in Francia e di Hume in Inghilterra verrà superato, stabilendo la soggettività del bello. (S. 18f.)

Und doch zeigt für Zucchi die Auseinandersetzung mit den europäischen Philosophen, dass es über die Grenzen ihrer jeweiligen Kulturen hinweg bei ihnen viele Überlegungen zu gleichen Fragen gibt – wie zum Beispiel nach dem Einfluss der cartesianischen Rationalität oder nach dem Geschmack (gusto).

Der Problematik der Entstehung der Landschaftsmalerei als autonomem Genre ist der Beitrag von Elisa Spataro gewidmet. Ausführlich wird darin der Prozess der Bildung einer künstlerischen Identität bei den Malern von Landschaften analysiert. Lange Zeit als ein genere minore einer Kunst betrachtet, die sich bis dahin vor allem mit Menschen, Geschichte oder mit christlich-religiösen Themen beschäftigte, erfuhr die paesaggistica im 17. Jahrhundert eine Würdigung, die schließlich zu einer regelrechten Theorie der Landschaft führen sollte. Diese ist Anfang des 18. Jahrhunderts dem Franzosen Roger de Piles in seinem Cours de peinture par principes zu verdanken. Die Verfasserin weist darauf hin, dass die Entdeckung einer ersten Fassung der Schrift in der Biblioteca Medicea Laurenziana von Florenz die Bedeutung von de Piles unterstreicht. Der in seiner Schrift bejahte Primat der Farbe (colorismo) gegenüber von Zeichnung und inventio sollte zu einer Erneuerung des ästhetischen Kanons und zur eine Überwindung des Klassizismus führen. De Piles legt großen Wert auf den studio dal vero und auf eine Interaktion zwischen Werk und Beschauer: «L’interazione diretta tra l’opera e lo spettatore, al di là dei significati morali della pittura di storia, costituisce il perno del discorso di De Piles nel Cours de peinture.» (S. 71) Diesen theoretischen Überlegungen ging eine Erfahrung voraus, die tiefgreifende Auswirkungen in ganz Europa hatte. Zwischen 1629 und 1630 hatte sich in Rom eine Gruppe europäischer Künstler (Nicolas Poussin, Claude Lorrain, Pieter van Laer und Joachim von Sandart) zusammengefunden. Diese Maler waren die ersten, die sich bemühten, die freie Natur unmittelbar auf ihre Bilder wirken zu lassen. Sie übten sich «nella ripresa dal vero delle forme e dei colori della campagna romana e di Tivoli.» (S. 77) Die Auswirkungen dieser Malerei waren in mehrfacher Hinsicht für zukünftige Entwicklungen von Bedeutung: Bekanntlich entwickelte Poussin den Typus der heroischen Landschaft, in der imposante Gebäude, Tempel und Pyramiden Erstaunen und Bewunderung hervorrufen sollten.

Der Lösung einer bis dato schwierigen Zuschreibung, nämlich der Autorschaft der Loggia di Galatea in der Villa Farnesina alla Lungara, ist der Aufsatz von Giulia Daniele gewidmet. Nach einer minutiösen Durchforstung von Archivdokumenten, vor allem von Korrespondenzen und Rechnungen, wird die These aufgestellt, dass vermutlich der französische Maler François Simonat, besser bekannt unter dem Pseudonym Monsù Francesco Borgognone, die Malerei des Gewölbes ausgeführt hat.

Der Prozess der regen Bautätigkeit in Rom hatte auch eine Intensivierung des Interesses für graphische Studien zufolge. Der Auswertung eines umfangreichen Bildmaterials von Sammlern, Sammlungen und Agenten in der Zeit zwischen 1680 und 1750 gilt die originelle Arbeit von Dario Beccarini.

Mit Camilla Pietrabissa geht der Blick nach Paris. Ihr Essay analysiert die Beziehung zwischen Künstlern, Druckgraphikern und Verlagen in der Zeit zwischen 1650 und 1750. Wissenswertes und Interessantes über die Darstellung der Stadt und ihrer Umgebung als ideale Orte für die künstlerische Veranschaulichung in einer Zeit im Aufbruch wird hier vermittelt.

Die zentrale Rolle der Holzschnitzerei in der Innenausstattung von Räumen im 18. Jahrhundert wird von Aurora Laurenti untersucht. Sie konzentriert ihre Aufmerksamkeit insbesondere auf den Palazzo Reale von Turin. Gegenstand ihrer Studie sind Publikationen und Dekorationen. Paris war das große Vorbild, das die Mode diktierte; die dort gedruckten hochwertigen Werke über cheminées, Verkleidungen und Konsolen inspirierten die Turiner Künstler.

In den Anfängen des 18. Jahrhunderts verbreitete sich in Europa infolge der zahlreichen wissenschaftlichen Entdeckungen das Interesse für die divulgazione scientifica. Man wollte einem breiten Publikum die Früchte der Wissenschaft offenlegen. Alessia Castagnini analysiert in ihrem Essay Werke und Übersetzungen, die in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Venedig gedruckt wurden, mit dem Ziel, die Entwicklung dieses Phänomens in Italien zu untersuchen.

Im Aufsatz von Giovanni Santucci über Stilrichtungen und Geschmack in England in den ersten Jahrzenten des 18. Jahrhunderts werden die Leserinnen und Leser mit einer komplexen Entwicklung konfrontiert, die die enge Bindung des Landes zum europäischen Kontinent, vor allem zu Italien aufdeckt. Im Mittelpunkt der Analyse steht die Rolle des Ornaments als Grundelement des Barock und seine Zähmung durch den Klassizismus. Als Leitfaden für die Untersuchung dient Santucci ein Text von Daniel Defoe (1660–1731) mit dem Titel A Tour thro‘ the whole Island of Great Britain (1724–27). Die Schrift, eigentlich als schlichter Reiseführer für englische Gentlemen konzipiert (parallel zu den vielen, die für Reisen nach Italien oder Frankreich zur Verfügung standen), entpuppt sich als eine überaus interessante kulturpolitische Lektüre. Denn der Autor des Robinson Crusoe offenbart darin seine Liebe und Bewunderung für die architektonischen Werke auf dem Kontinent und gleichzeitig verrät er seine konservative Ideologie. Er schreibt in einer epochalen Krise, die sich dennoch als fruchtbar erweisen sollte; in dieser Zeit wurde das Bewusstsein der Einzelnen und der Zivilgesellschaft durch Ideen- und Interessenkonflikte sowie kontroverse religiöse Überzeugungen erschüttert. Der Prozess, der schließlich – zuerst in England schon ab der frühen Mitte des 18. Jahrhunderts – zur industriellen Revolution führen sollte, veränderte die Art zu leben und zu denken tiefgreifend. Defoe fühlte sich als der ideale Sprecher, um die Magnifizenz und das Prestige seiner Nation zu repräsentieren und zu verteidigen: Häuser und Parks sollten in einem neuen Glanz erscheinen. Der Barockstil schien ihm dies zu verkörpern, die Vorbilder suchte er im Ausland: Versailles bei Paris und San Pietro in Rom. Beispiele konnte er aber auch in England finden. Die Architektur und die Dekoration der Gebäude in der Zeit der letzten Stuarts konnten sich dank eines vertieften Studiums vor allem von materiali visivi, die aus Italien stammten, in der barocken Welt behaupten, ja «ottennero il diritto di collocarsi nell’universo barocco» (S. 146).

Freilich, die Reaktion gegen diesen Geschmack formierte sich nach dem Tod von Königin Anna unter den Königen des Hauses Hannover. Persönlichkeiten wie der Dichter Pope oder der Philosoph Shaftesbury verurteilten die reiche Ornamentik des Barock scharf und nahmen eine klassizistische Wende vor. Palladio wurde zum großen Vorbild. Inspirierte Architekten schufen großartige Landschaftsgärten, die die formalen Gärten verdrängten. Defoe erscheint also als ein letzter Barde einer sich wandelnden Epoche. Santucci fasst seine Reflexionen so zusammen:

Dovrebbe a questo punto risultare chiaro come l’ammirata e insistita descrizione della natura artificiata nelle geometrie immutabili di grandi giardini formali barocchi, e quella dei produttivi paesaggi campestri e urbani costellati di nuovi straordinari edifici civili e religiosi privati e pubblici, sempre più numerosi in Gran Bretagna al fianco e al posto delle vecchie e ormai poco apprezzabili costruzioni medievali, siano elementi chiave della narrazione politica, sociale ed economica offerta in quel grande affresco della nazione britannica che è A Tour. (S. 163)

Defoes Erkenntnisse bieten einen Schlüssel zum Verständnis der in ihrem Reichtum schwer zu erfassenden Epoche, der die Aufsätze dieses Bandes gewidmet sind. Es mag paradox klingen, dass ausgerechnet ein englischer Reiseführer als Untersuchungsobjekt für die Problematik von natura e artificio (Künstlichkeit) dienen und für einen Vergleich mit der europäischen Situation am aussagekräftigsten sein soll. Mir scheint die englische Szene von großem Interesse zu sein: Italien – wieder einmal Quelle der Inspiration und der Suche nach der Schönheit – wirkt als Auslöser und vor allem als eine Art Katalysator. In der Architektur und der Gartenkunst erlebt England in Zeit als Mode jene Phänomene, die in Italien in einem längeren Prozess gereift waren. Was sich in England schnell und in großem Maßstab vollzog, geschah in Italien eher peripher und im Verborgenen. Auch wenn der Blick der Reisenden und Forscher im behandelten Zeitraum sicherlich öfter nach Paris als nach London gerichtet war, bleibt die Auseinandersetzung mit Großbritannien äußerst fruchtbar.